piwik no script img

Champions-LeagueFür Beşiktaş auf die Mülltonne

Beim Champions-League-Spiel gegen RB Leipzig wollte die Führung des Istanbuler Klubs keine Fans. Viele fuhren trotzdem hin und sahen einen 2:1-Sieg

Foto: Ali Çelikkan

Während die Türkei seit dem Ausnahmezustand gegen den Abstieg kämpft, hat der Fußballverein Beşiktaş Istanbul eine hervorragende Saison und spielt in der Champions League. Beşiktaş beendete die Gruppenphase der Champions League auf dem ersten Gruppenplatz. Schon vor der Begegnung gegen den RB Leipzig am Dienstagabend hatten sich die Istanbuler das Achtelfinale gesichert.

Aber die Fans von Beşiktaş konnten das trotzdem nur eingeschränkt feiern: Sie dürfen keine Auswärtsspiele ihrer Mannschaft besuchen. Bei einem Viertelfinalspiel der UEFA Euro-League gegen Olympique Lyon vergangenes Jahr gab es Ärger auf den Tribünen. Nach den Ausschreitungen wurden beide Klubs gerügt: Ausschluss für eine Saison aus dem Europacup, die für zwei Spielzeiten zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Führung von Beşiktaş rief die Fans in der Folge dazu auf, nicht zu den Auswärtsspielen des Istanbuler Clubs zu gehen. Monatelang sprach sich mit den europäischen Fanclubs von Beşiktaş und warb um Verständnis für diese Entscheidung.

„„Das ist sehr traurig“

Auch die Berlin-Sektion von Çarşı, einer weltweit anerkannten Fangruppe, die sich nicht scheut, bei gesellschaftspolitischen Angelegenheiten zu intervenieren und die für ihre antifaschistische Haltung bekannt ist, akzeptierte die Forderung der Vereinsführung. Eine notwendige Maßnahme, wie ein Çarşı-Mitgleid findet, denn: „Ein Knallfrosch würde dafür ausreichen, dass Beşiktaş die nächste Strafe bekommt.“ Ekin Ö., eine führende Persönlichkeit bei Çarşı Berlin, sagt vor dem Spiel gegen RB Leipzig: „Das ist sehr traurig. Es tut weh, 190 km zu fahren und dann die Mannschaft nicht von der Tribüne aus zu unterstützen. Aber seine Liebe für die Mannschaft zu opfern und weiterzumachen, ist das beste, was man tun kann. Das Risiko ist zu groß.“

Es ist kein leichtes für Türkeistämmige in Deutschland, ein Spiel von Beşiktaş zu besuchen. Sie haben nicht die Möglichkeit, alle zwei Wochen in Istanbuler Inönü Stadion zu gehen, um ihre Mannschaft anzufeuern. In Deutschland hofft man, dass Beşiktaş im europäischen Wettbewerb auf einen Club trifft, der dem eigenen Wohnort möglichst nahe ist, und bereitet sich Monate lang auf eine dieser seltenen Gelegenheiten vor. Viele Beşiktaş-Fans Fans in Europa, entschieden sich am Mittwoch trotzdem dafür, ihr Team trotz des Stadionverzichts zu unterstützen.

Sie fuhren vor dem Spiel zum Leipziger Hotel der Mannschaft, um den Spielern zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Der Bus, der sie dorthin brachte, startete mit 30 Personen vom Berliner Hauptbahnhof. Neben Berliner Fans saßen in dem Bus auch solche, die eigens für das Spiel gegen Leipzig aus Istanbul angereist waren. Auch wenn einige der Jüngeren im Bus gezeichnet sind von der letzten, durchzechten Nacht, halten sie die Fangesänge während der ganzen Fahrt durch: „Der Grund für meine schönsten Gefühle ist der Adler“ (Wappentier von Beşiktaş, Anm. d. Red)“

Batuhan kam für die Begegnung gegen Leipzig aus dem Istanbuler Stadtteil Bakirköy. Er sagt: „Gleich nach der Auslosung haben wir die Tickets besorgt, obwohl wir wussten, dass wir nicht zu den Spielen gehen können.“ Der Bus ist voll mit Menschen, die an der Beşiktaş-Liebe leiden. Es gibt auch eine Person, die ihr Glück auf dem Schwarzmarkt vor dem Stadion probieren will.

Als die Spieler aus dem Hotel kommen

Nach einigen Zigarettenpausen erreicht der Fanbus schließlich Leipzig. Die letzten Warnungen werden ausgesprochen: „Meine Herren, ich bitte euch, lasst euch nicht provozieren! Niemand hat Schläger oder Messer dabei, richtig?“ 30 Personen in schwarzen Mänteln und Mützen laufen vom Leipziger Hauptbahnhof in Richtung Mannschaftshotel los. Nach 50 Schritten werden sie von der Polizei begleitet. Vor dem Hotel sind bereits viele andere, die seit Stunden auf die Mannschaft warten. Als die Spieler aus dem Hotel kommen und in den Mannschaftsbus steigen, zündet jemand ein bengalisches Feuer. Es wird gesungen. Ansonsten bleibt es ruhig.

Der Mannschaftsbus fährt weg, und eine Gruppe von 150 Personen macht sich auf den Weg, um einen Ort zu finden, an dem sie „singen und ganz anständig das Spiel anschauen“ können, wie einer von ihnen sagt. Begleitet von 10 Polizisten geht die Gruppe Richtung Stadtzentrum. Alle sind bemüht, einen gewissen Lärmpegel nicht zu überschreiten, niemand will das Wohl von Beşiktaş gefährden.

Ein türkeistämmiger Mann, der auf der anderen Straßenseite läuft, ruft ihnen zu: „Schwarz!“. Er bekommt keine Antwort von der Gruppe. Er fragt: „Ich habe 'Schwarz’ gerufen, wo bleibt euer 'Weiß’?“ Ein paar Männer aus der Gruppe rufen dann doch „Weiß!“. So geht der Fangesang des Clubs, dessen Farben Shwarz und Weiß sind. Während ein Helikopter den Himmel erhellt, erreicht die Fangruppe den Leipziger Weihnachtsmarkt und kann ihre Aufregung nicht weiter unterdrücken: Fangesänge und eine große Aufregung, der sie endlich freien Lauf lassen.

Viele Weihnachtsmarktbesucher beobachten bei einem Glühwein überrascht, was sich da abspielt. Die meisten haben ein Lächeln im Gesicht, auch jene mit den Schals des Gegners, RB Leipzig. Ceyhun, einer der Jüngeren bei Carşı Berlin springt auf einen Mülleimer und heizt die Menge ein. Die Polizei versucht, die Männer davon zu überzeugen, nun endlich an den Ort zu gehen, an dem sie das Spiel schauen möchten. Aber wo kann denn eine solche Gruppe hingehen, um das Spiel zu schauen? Um dieses Problem zu lösen, kümmert sich einer der Beamten um die Reservierung in einem passenden Lokal: Eine Sportsbar in der Reichsstraße.

Bei Beşiktaş zu sein

Um die RB-Arena bleibt es trotz Zehntausender, die sich hier vor dem Spiel tummeln, ruhig. Yücel S. von Çarşı Berlin ist einer unter zwei bis drei tausend Türkeistämmigen im Stadion. Auch wenn es der Verkauf von einzelnen, nicht zusammenhängenden Tickets verhindert, dass die wenigen Beşiktaş-Fans im Stadion einen Block bilden können, lassen diese sich nicht davon stören. Schließlich seien es ja nicht sie gewesen, die sich mit Fikret Orman, dem Präsidenten von Beşiktaş getroffen haben, um ihm zu versprechen, dass sie nicht zu den Auswärtsspielen gehen würden.

In den Rängen, in denenen unter normalen Bedingungen die Fans der Gästemannschaft positioniert sind, gibt es viele kleine, voneinander getrennte Gruppen von Beşiktaş-Fans. Sie sind zufrieden mit ihrer Mannschaft, die mit der B-Aufstellung schon nach 10 Minuten in Führung geht. Immer wieder rufen diese kleinen Gruppen einander Fangesänge zu.

Nach zwei Abseitstoren werden die Leipzig-Fans allerdings ungemütlich. Als klar wird, dass auch Porto gegen Monaco gewinnen wird, verstummen sie, weil damit ein Weiterkommen in der Champions League für Leipzig ausgeschlossen ist. Wenige Minuten nach dem Leipziger Ausgleich in der Endphase der Begegnung trifft Beşiktaş noch einmal, geht somit als Sieger vom Feld und ist mit 14 Punkten im Achtelfinale der Champions League. 14 Punkte: Ein neuer Rekord im türkischen Fußball.

Nach dem Spiel kommen die versprengten Gruppen von Beşiktaş-Fans auf den Tribünen doch nochmal zusammen und schaffen es, einen Block zu bilden und gemeinsam zu singen. Es scheint ganz egal, auf wen Beşiktaş im Achtelfinale treffen wird: die Fans werden da sein, im Stadion oder auf der Straße. Fans anderer Clubs würden hoffen, dass ihre Mannschaft bei den K.O.-Spielen auf einen leichten Gegner trifft. Unter den Beşiktaş-Fans gibt es aber solche, die hoffen, dass ihr Team auf Chelsea trifft, „weil London relativ nah ist und man unkompliziert zum Spiel gehen kann.“ Den Beşiktaş Fans geht es nicht ums Gewinnen oder Verlieren. Ihnen geht es darum, bei Beşiktaş zu sein.

Übersetzung: Volkan Ağar

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!