Cem Yildiz über sein Leben als Escort: "Hose runter, Schwanz raus, geschämt"
Cem Yildiz lässt sich für Sex bezahlen, seit er siebzehn ist. Jetzt hat er ein Buch geschrieben. Ein Interview über den Unterschied von Freiern und Klienten und warum Yildiz sich abgewöhnt hat, zu helfen.
Wir treffen uns in einer Bar in Berlin-Schöneberg. Weiße Wände, weißes Interieur, weiß gekleidete Barkeeper. Cem Yildiz begrüßt jeden Gast mit Kuss, der Besitzer ist ein Freund. Unsere Gin Tonic stehen auf Untersetzern mit kleinen Rüschen. Schon beim ersten Glas sind wir beim Du.
Wer ist eigentlich Cem?
Das bin ich.
Ich dachte, in deiner Geburtsurkunde steht ein anderer Name.
Stimmt.
Wer ist dann dieser Cem?
Cem ist derjenige, der den Leuten sagt, wo es langgeht. "Cem" bedeutet auf Türkisch "der Herrscher". Durchsetzungsfähig, zielstrebig, menschlich. Mindestens 100 Euro die Stunde.
Auf Internetplattformen präsentierst du Cem als jemanden, der eine Dienstleistung anbietet. Was ist das Angebot?
Wenn ich jetzt sage "Erlösung", klingt das vielleicht ein bisschen zu viel.
Erlösung wovon?
Erlösung vom Zwang.
Wie geht das?
Ein Ehemann, der auf einmal einen Schwanz im Arsch hat. Das ist Erlösung vom Zwang. Mal nicht der Aktive sein zu müssen. Es gibt natürlich noch extremere Sachen. Ich habe alles erlebt, was man als Escort erleben kann.
Dieses Interview ist der aktuellen sonntaz vom 15./16.8.09 entnommen - ab Sonnabend gemeinsam mit der taz am Kiosk erhältlich.
***********
Cem Yildiz
Person: Cem Yildiz, geboren 1978 in Berlin, wuchs im gutbürgerlichen Berliner Stadtteil Buckow auf. Seine Mutter ist gebürtige Türkin, er selbst war noch nie in der Türkei und spricht kaum Türkisch.
Ausbildung: Nach Abschluss der Realschule begann er eine Lehre als Konditor in Berlin-Neukölln, die er kurz vor der Prüfung abbrach.
Beruf: Mit 17 Jahren empfing er seinen ersten Kunden in einem Berliner Männerbordell, dem "House of Boys". Seitdem war er, mit gelegentlichen Unterbrechungen, als Sexarbeiter tätig. Zudem arbeitet er regelmäßig als DJ mit Schwerpunkt House in Clubs und Bars.
Spezialisierung: Seine Schwerpunkte sind Erniedrigung und Unterwerfung. Er tritt beruflich dominant, wenn gewünscht, auch brutal auf und bedient Kundenvorlieben bis hin zur inszenierten Vergewaltigung. Seine Grenze: bleibende Schäden bei Klienten, auch wenn diese es verlangen.
Veröffentlichung: Sein Insiderbericht "Fucking Germany. Das letzte Tabu oder mein Leben als Escort" erscheint im September im Westend Verlag, Frankfurt am Main.
***********
Mann als Ware
Hierarchien: Männliche Prostituierte werden in zwei Gruppen geteilt: Stricher und Escorts (veraltet: Callboys). Stricher sind jünger, meist 15 bis 25 Jahre alt. Laut Sozialarbeitern sind etwa drei Viertel Migranten. Oft verkaufen sie Sex aus finanzieller Not heraus, in Bordellen, Sexkinos und Kneipen.
High Class: Das Selbstbild der Escorts ist von Professionalität geprägt. Sie haben keine Zuhälter, ihr Bordell ist das Internet, wo sie "Dates" ausmachen - auf eigene Rechnung. Sozialarbeiter schätzen ihre Zahl allein in Berlin auf etwa 600.
Hilfe: Es gibt deutschlandweit sieben Projekte, die sich explizit an männliche Prostituierte richten, vorwiegend an Stricher. Alle haben ihren Ursprung in der Aids-Hilfe. Das größte ist der Berliner Verein Sub/Way, der auch Selbsthilfe für Callboys anbietet.
Was ist ein Escort?
Eine Begleitung im Grunde genommen. Ich begleite die Leute in jedem Fall.
Heißt das, dass du auch mit in die Oper gehst?
Natürlich. Die Frage am Telefon klingt dann so: Würdest du in der Lage sein, mit mir in die Oper zu gehen? Dann überlege ich eben und sage ja oder nein.
Hat es so angefangen bei dir - mit Oper?
Nein, angefangen hat es in einem Männerbordell, als ich noch in der Ausbildung als Konditor war. Und nein, ich war kein Problemkind, ich hatte eine ganz normale Kindheit. Ich brauchte nur Geld, weil ich viel in der Technoszene unterwegs war. Da habe ich eine Anzeige in der Zeitung gesehen, "House of Boys" sucht junge Männer.
Wie alt warst du damals?
So 17, 18. Der erste Kunde war ein älterer Typ, er stand auf Turnhosen und wollte einfach nur an mir herumfummeln. Das wars. Hose runter, Schwanz raus, Hose hoch, geschämt.
Schämst du dich heute auch noch?
Das hat irgendwann aufgehört, ziemlich bald. Heute bin ich Profi, Escort.
Was ist der Unterschied zu einem Stricher?
Muss ich das jetzt sagen?
Viele wissen das nicht.
Die Beule in der Karre da drüben, siehst du die? Und dann schau dir mal ein ordentliches Auto an, das hier vorbeifährt. Mal gucken, ob wir eins sehen. Da der X3er, der ist aber nicht ganz so teuer.
Der Preis macht den Unterschied?
Preis und Qualität. Aber auch schon die Intention. Der Freier ist bei mir kein Freier, sondern ein Gast oder Klient. Stricher präsentieren sich in Bars, ich mich höchstens in Internetportalen.
Wie funktioniert das denn?
Wenn ich online bin, können mir Interessenten eine Nachricht schicken, dann machen wir ein Date aus, wenn es passt.
Arbeitest du immer?
Ich warte nicht auf Kunden. Das ist der Unterschied zu den Strichern. Stricher und Escort wollen beide Geld verdienen. Die Frage ist nur, warum. Ob man muss oder nicht.
Armutsprostitution?
Viele der Jungs kommen zum Beispiel aus Rumänien, haben Familien zu Hause. Aber ich dachte, es geht hier um mich, ich bin kein Beauftragter für das Elend der Welt, echt nicht.
Aber du weißt darum.
Wenn ich mit so etwas konfrontiert werde, werde ich immer so sehr menschlich. Ich habe mir abgewöhnt, zu helfen. Ich mache das nur temporär, wenn überhaupt.
Hast du manchmal Mitleid?
Aber sicher, natürlich.
Mit wem?
Ich sag es jetzt so, wie es ist: mit allen. Mit den meisten Menschen, die in diesem Metier arbeiten, habe ich Mitleid.
Warum?
Weil sie da nicht rauskommen. Weil die nicht die Chance haben, die ich jetzt durch mein Buch bekomme. Ich würde gern einige Leute am Schlafittchen nehmen und sagen: Bewirb dich. Ich weiß ja, wie es mir ging - ich habe ja auch Träume und Wünsche, die nicht mehr zu meinem Leben als Escort passen.
Welche?
Hast du gerade die Tür zuschlagen hören?
Du willst die Tür hinter dir zuschlagen.
Genau. Ich kann nichts tun, worauf ich keine Lust mehr habe. Immer beim Sex an Geld zu denken ist schon bescheuert, oder?
Worum geht es dir denn bei dem Job? Nur um Geld?
Es geht um Geld, wofür arbeitest du denn?
Ein Job kann auch Selbstverwirklichung sein oder Bestätigung.
Oder Passion. Man könnte diesen Job nur dafür benutzen, die Bestätigung zu bekommen, mit Leuten umgehen zu können. Oder geil zu ficken. Oder die Leute im Griff zu haben. Mein privater Sex läuft total in Ordnung, also diese Bestätigung brauche ich nicht. Was bleibt, ist Geld - und jede Menge Menschenkenntnis.
Benutzen dich die Leute, oder benutzt du sie?
Die Frage kann ich dir beantworten: Ich mache nichts, was ich nicht will.
Wann entscheidet sich das?
Meist schon am Telefon, da mache ich die Grundsätze fest. Momentan ist das Geschäft etwas eingebrochen. Vielleicht ist es die Wirtschaftskrise, oder vielleicht bilden sich die Leute die Wirtschaftskrise auch nur ein. Ich kann ihnen jedenfalls ihre Hemmungen nicht nehmen und werde meine Preise nicht senken. Ich bin kein Spielball, darum geht es in der Szene. Ich mache die Regeln.
Was geht nicht, wo ist die Grenze?
Generell sage ich: Blut und Scheiße, ansonsten mache ich alles. Bei extremen Sonderwünschen wäge ich ab. Es wollte zum Beispiel mal jemand, dass ich ihm einen rostigen Nagel durch seinen Hodensack schicke. Ich habe das dann in Form eines nicht rostigen Nagels gemacht, wo die Infektionsgefahr relativ gering ist, weil das Skrotum ja nur aus Haut besteht. Na ja, und die Samenstränge, aber dass so jemand Kinder kriegen will, ist sehr unwahrscheinlich. Ich bin dann bei so etwas sowieso desinfiziert, trage Handschuhe und so weiter. Beim Sex natürlich auch immer Gummi. Ich mache nichts, was wirklich bleibende Schäden verursacht. Das mag ich nicht. Das mag ich nicht!
Das bedeutet Verantwortung, bei allen Extremen.
Solange kein Vertrag abgeschlossen wurde, liegt das natürlich in deiner Hand. Das ist halt die Dominanz.
Es gibt also Leute, die von dir verlangen, dass du Dinge tust, die sie längerfristig beschädigen.
Klar, das gibt es haufenweise.
Kannst du Beispiele nennen?
Völlige Vernichtung. Finanzielle und körperliche Vernichtung. Haus anzünden. Wo ich dann sage: Das ist kein Einfamilienhaus, das würde andere Leute beschädigen, die damit nichts zu tun haben. No go! Auf gar keinen Fall.
Das sagst du so direkt?
Na ja, ich denke es in erster Linie. Das ist meiner Meinung nach auch das Gesündeste. Stell dir vor, ich wäre skrupellos. Ich mach das einfach und denk nicht an die Folgen. Dann wäre ich jetzt wahrscheinlich entweder im Knast oder irgendwo reich in irgendeinem Wolkenkuckucksheim.
Nachgefragt wird Erniedrigung. Warum verlangt jemand von dir, vergewaltigt zu werden?
Das interessiert mich nicht. Das interessiert mich einfach nicht.
Aber es gibt doch auch Gespräche.
Ja, die gibt es. Es gibt eine bestimmte Privatsphäre in der geschäftlichen Atmosphäre, die muss es meiner Meinung nach auch geben, weil ich sonst nicht warm werde.
Wo ziehst du da die Grenze zwischen Beruf und Privatleben?
Die Grenze ist das Geld. Natürlich ist das eine Gratwanderung. Klar gibt es Leute, bei denen ich dachte, die finde ich sexy. Wo mir die Zielstrebigkeit genommen wurde und ich dachte: Puh, den kann ich jetzt nicht schlagen oder so. Hab ich dann aber doch gemacht. Weil es mein Job ist. Professionalität. Glaubst du, ich habe jemals normalen Sex auf der Arbeit gehabt? Seltenst.
Ist Sex ein Handwerk?
Ja, ich denke schon. Das kann man gut und schlecht machen.
Wer sind deine Kunden?
Es gibt alles. Leute, die sich mit 18 ihr Lehrgeld zusammengespart haben. 12 bis 57, 70. 12 bis 70!
Zwölf - ernsthaft?
Na ja, 12 ist Blödsinn. Sagen wir mal 17.
Und alles Männer?
Na ja, fast, hauptsächlich Männer. Es gab früher auch Frauen, die ich zu Empfängen, Filmpremieren und so weiter begleitet habe. Sachen, wo ich sage, da fühle ich mich heute nicht mehr wohl.
Worum ging es da genau?
Na ja, das sind eben Geschäftsfrauen, die anrufen, wenn ich annonciert hatte. Meist Alleingelassene. Danach gings dann auch ins Hotel, Sex, Ende. Keine extremen Sonderwünsche.
Wie erklärst du dir, dass es verhältnismäßig wenige Escorts gibt, die sich explizit an Frauen richten?
Es gibt schon welche.
Aber es ist ein sehr kleiner Teil, im Gegensatz zu denen, die sich an Männer richten.
Aber das ist doch klar. Deshalb habe ich doch das Buch geschrieben, damit die das mal merken.
Frauen wissen einfach nicht, dass es diese Möglichkeit für sie gibt?
Die, die es wissen, reden nicht drüber. Warum, weiß ich auch nicht. Ich bin ja keine Frau.
Aber du glaubst, dass das Bedürfnis nach käuflicher Sexualität grundsätzlich genauso groß ist?
Hat überhaupt jemand ein Bedürfnis nach käuflicher Liebe? Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass das eher ein Zwang ist. Frauen haben diesen Zwang vielleicht weniger.
Bekommt man Sex jetzt nicht über das Internet umsonst? Poppen.de und so.
Ha! 90 Prozent der Sexdates, die vereinbart werden, platzen. Ich kann das auch aus Erfahrung meiner Freunde und Bekannten sagen. Es funktioniert nicht.
Du nennst dich Cem. Wie wichtig ist das Türkenimage für deinen Beruf?
Sehr wichtig.
Warum?
Weil sie es geil finden. Ein Türke, der deutsche Männer mal richtig durchknallt. Sie haben ihre Klischees im Kopf, dann bekommen sie sie auch.
Cem ist der Dominante - könntest du auch die andere Rolle spielen und dich penetrieren lassen?
Auf keinen Fall.
Das würde an deinem Selbstwertgefühl kratzen?
Nein, ich arbeite nicht passiv, weil ich nicht passiv arbeiten will.
Warum macht das einen Unterschied?
Das ist zu nah, das ist zu eng.
Wenn man sich penetrieren lässt, verliert man dann seine Männlichkeit?
Ich denke, jeder ist so männlich, wie er sich fühlt, und so männlich, wie er sich gibt. Ob er sich jetzt ficken lässt oder nicht. Wenn ein Mann sich ficken lässt, ist er noch lange keine Frau. Wenn eine Frau sich ficken lässt, ist sie auch noch lange keine Frau.
In dem Geschäft geht es erst mal um Körper, Oberflächen. Wann ist ein Mensch für dich eigentlich schön?
Wenn er mit sich im Reinen ist. Wenn er mit sich klarkommt. Wenn er sich selbst akzeptiert, wie er ist.
Findest du dich schön?
Nein. Also ich bin schon mit mir im Reinen. Aber mein Körper ist nicht ganz so, wie ich ihn haben will. Ich mag meine Füße nicht. Ich weiß, dass andere Leute mich begehrenswert finden, aber ich kann das nicht erwidern, weil ich das nicht so fühle.
Deshalb ist aller Sex für dich Arbeit?
Sex ist für mich nicht Sex. Privatsex ist für mich nicht Sex. Privatsex ist für mich Erfüllung. Ich habe gerade wieder jemanden kennengelernt. Ich will Ehrlichkeit.
Darum hörst du auf?
Ja.
Gibt es für dich dabei auch einen Schmerz?
Ja, etwas mehr tun zu müssen für mein Geld. Was genau, weiß ich noch nicht.
Das klingt, als wäre es als Escort ein leichter Job. Ist das so?
Ich sag das hier mal ganz ehrlich für die ganze Nation: Es ist ein harter Job. Man macht sich nämlich danach noch Gedanken darüber.
Was für Gedanken?
Solche und solche. Meistens mache ich mich dann darüber lustig. Zum Beispiel Monopoly, ein Spiel der Superlative. Wenn du keine Miete bezahlen kannst, dann musst du jemanden ins Maul ficken. Und wenn ich rausgehe, denke ich so: Haha, was ist das für eine Welt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich