piwik no script img

Cattenom in Probebetrieb

■ Ohne Ankündigung wurde der Probelauf in Cattenom aufgenommen / Empörung in Saarbrücken, Gelassenheit in Bonn / Spontane Proteste in Saarlouis / Saarland will erneut klagen / Heute Demonstration in Trier

Aus Heidelberg Felix Kurz

Trotz zahlreicher internationaler Proteste und laufenden Gerichtsverfahren gegen die Inbetriebnahme des französischen Atomparks Cattenom ist gestern der erste Reaktor in den nuklearen Probelauf gegangen. Zumindest die saarländische Landesregierung war von diesem Schritt überrascht und wurde erst nach dem Erreichen der Kritikalität über den atomaren Betrieb der Atomzentrale vor ihrer Haustür über ein Fernschreiben der Präfektur Metz informiert. Lapidar wurde um 11.55 Uhr offiziell mitgeteilt, daß man um 7.26 Uhr im ersten Reaktorblock die „erste nukleare Kettenreaktion ausgelöst“ habe. „Ein dicker Hund“, so aus dem saarländischen Umweltministerium. Die Internationale Aktionsgemeinschaft gegen das AKW, in der über siebzig Organisationen aus Luxemburg, Frankreich und der BRD zusammengeschlossen sind, kündigte als Reaktion verstärkte Prostestaktionen an. So sind u.a. ab 1. November Blockaden an mehreren Grenzübergängen zu Frankreich geplant. Die Trierer Bürgerinitiativen haben zu einer Demonstration in Trier für den heutigen Samstag aufgerufen. Am späten Freitag nachmittag bestiegen AKW–Gegner in Saarlouis einen Kirchturm, die Dächer des Rathauses und der Hauptpost und brachten dort Transparente an. Für die internationale Aktionsgemeinschaft gegen das AKW Cattenom ist nach den Worten ihres Sprechers Henry Selzer „nun endgültig klar, daß der Widerstand mittel– und langfristig angelegt werden muß“. Verantwortlich für den Bau und die Inbetriebnahme der französischen Atomzentrale seien die Bundesregierung und die rheinland–pfälzische Landesregierung, „die den Franzosen in Cattenom den Rücken freigehalten haben“. Fortsetzung auf Seite 2 Während man in Saarbrücken die Angelegenheit mit „Empörung zur Kenntnis genommen“ hat und als „erheblichen Rückschlag für den Gedanken der europäischen Zusammenarbeit“ bewertet, blieb man in Rheinland–Pfalz und Bonn nach dem überraschenden Schritt der Franzosen wie immer recht gelassen. Eine Sprecherin des Bonner Ministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit erklärte gegenüber der taz, daß man auf „dem üblichen Wege“ informiert worden sei. Zunächst hieß es, man sei durch die französische Botschaft schon im Vorfeld benachrichtigt worden. Dann war es ein Telex des französichen Industrieministeriums an das Wallmann–Ressort vom Donnerstag und bei der letzten Version trug das Fernschreiben plötzlich das Datum vom Freitag. Nur die Bekanntgabe der genauen Uhrzeit des Telex verweigert die Sprecherin. Im rheinland–pfälzischen Umweltministerium wollte man von dem nuklearen Probelauf auf ganz andere Weise erfahren haben: „über die Experten“. Aus Kreisen einer Arbeitsgruppe der „Deutsch–Französischen Kommission“ zu Fragen kerntechnischer Anlagen, die gerade in Mainz tagt, habe man von der Genehmigung zur Auslösung der ersten atomaren Kettenreaktion in Cattenom erfahren. Zwei Tage zuvor, am 22.10. hatten weder die Saarländer noch der rheinland– pfälzische Umweltminister Klaus Töpfer(CDU) noch die Stadt Trier eine Ahnung von der bevorstehenden Inbetriebnahme. Zudem wollen Gerüchte nicht verstummen, daß die Landesregierung die Stadt Trier darauf dränge, die Klage gegen die Atomzentrale in Cattenom zurückzunehmen. Doch nicht einmal Atomfreund Bernhard Vogel(CDU), Ministerpräsident von Rheinland–Pfalz erfuhr bei einem Besuch des Nuklearparks vor fünf Tagen von dem entscheidenden, geplanten Schritt der „Kritikalität“. Das Saarland wird jetzt auch gegen die Genehmigung für die Auslösung der ersten atomaren Kettenreaktion vor dem Verwaltungsgericht in Straßburg klagen. Das teilte der saarländische Umweltminister Jo Leinen (SPD) noch am Freitag mit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen