■ Cash &Crash: Reiz und Reaktion
Berlin (taz) – Wie in der Tierwelt kennen die Verhaltensforscher auch in der Finanzwelt gewisse feststehende Reiz-Reaktions-Schemata. Auf den Schlüsselreiz „Wahlsieg der Konservativen“ folgt unweigerlich die Reaktion „Anstieg der Aktien- und Devisenkurse“.
In Italien verbieten Wahlvorschriften zwar die Bekanntgabe von vorläufigen Ergebnissen, bevor die Wahllokale schließen. Nichtsdestotrotz war schon im Laufe des Sonntags aus einer undichten Stelle gesickert, daß das konservative Wahlbündnis womöglich gar die absolute Mehrheit erringen würde. Die Reaktion der Spekulanten war erwartungsgemäß: Der Lirakurs sprang am Montag gleich um 1,32 Pfennig auf 1,0187 Mark für 1.000 Lire und machte damit die Verluste der letzten Wochen mehr als wett. Und an der Mailänder Börse kletterte der Index um 3,76 Prozent.
Renner waren vor allem Telekom-Aktien. Am Wochenende erst hatte das zum Staatskonzern IRI gehörende Telekom-Holding Stet bekanntgegeben, daß Siemens 50 Prozent der Stet- Tochter Italtel übernimmt und daß Siemens und Stet gemeinsam ein neues Gemeinschaftsunternehmen in Italien gründen.
Der Führer des konservativen Bündnisses, Silvio Berlusconi, hatte sich indes vor der Wahl nicht gerade durch ein ausgefeiltes Wirtschaftsprogramm profiliert. Ihm war unter anderem nachgewiesen worden, daß sein Sanierungsprogramm zu einem kräftigen Anstieg der Staatsverschuldung und damit zu höheren Zinsen beziehungsweise steigender Inflation führen würde – nichts, was die Wirtschaft gerne sieht. Aber auch wenn sich Berlusconis Konkurrent von links, der Chef der ehemals kommunistischen Partei PDS, Achille Occhetto, nicht minder industriefreundlich gab als der konservative Medienzar und beste Beziehungen zu in- und ausländischen Finanzkreisen pflegte – so ganz geheuer ist die Linke den Investoren halt nie. Folglich war die erste Reaktion auf den konservativen Wahlsieg Erleichterung. Da weiß man, was man hat.
Aber nur scheinbar. Denn kaum, daß die Wahllokale schlossen, machte sich Ernüchterung breit. Der konservative Pol der Freiheit, der neben Berlusconis Forza Italia auch die Liga Nord und die Neofaschisten umfaßt, ist schon jetzt reichlich zerstritten. Jetzt fragen sich alle, wie denn die streitbaren Mitglieder des Bündnisses eine stabile Regierung zustande bringen wollen.
Die Ernüchterung schlug sich sogleich in Zahlen nieder. Der Lira-Kurs konnte sich nur knapp behaupten, und an der Börse ging es schon wieder abwärts. Nach dem Anstieg von 3,76 Prozent bis Börsenschluß am Montag setzte schon am abend im nachbörslichen Handel der Abwärtstrend ein. Bis gestern mittag waren die Kurse schon wieder um 0,9 Prozent gefallen. Nicola Liebert
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