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■ Cash & CrashAn der Decke angestoßen

Es ist wirklich verrückt: Da rutscht die deutsche Wirtschaft in eine der hartnäckigsten Rezessionen, die Auftragsbücher gähnen vor Leere, die Gewinne sind bereits abgeschrieben, Massenentlassungen eine beschlossene Sache — und was macht die Börse? Sie boomt. Der Deutsche Aktienindex stieg zu Wochenbeginn zum ersten Mal seit einem dreiviertel Jahr auf über 1.700 Punkte. Wer da noch auf die miserablen Performances der Unternehmen stiert oder gar auf die unheilvollen Kassandrarufe der Banker hört, hat schon verloren. Also lieber aus falschen Gründen Geld gewinnen. Doch auch das ist nicht so ganz einfach. Da empfehlen etwa Analysten den Kauf von Chemieaktien, doch deren Gewinnausschüttungen zeigen seit zwei Jahren nach unten. Auch Autopapiere, gestern noch gelobt, sind eine höchst unsichere Bank.

Doch was die Anleger wie eine Kuhherde auf den Aktienmarkt treibt, ist nicht die Suche nach Glück, sondern reiner Selbsterhaltungstrieb. Die in Weichwährungen wie Peseta, Escudo oder Lira geparkten Gelder sind trotz kurzfristiger Zinsgewinne längst nicht mehr sicher, also wird ein Teil der Anlagesummen auch aus dem Ausland in D-Mark-Produkte investiert. Auch die Aktien profitieren von den Umschichtungen. 440 Milliarden Mark sind allein hierzulande auf Termingeldkonten geparkt. Da aber die Umlaufrenditen bei Anleihen auf weniger als 6,5 Prozent gesunken sind, bleibt nur noch der Deutschen ungeliebteste Anlagemöglichkeit übrig: die Aktie.

Das Ganze wird durch neue Zinsphantasien angeheizt. Kaum hatt Bundesbank-Chef Helmut Schlesinger beim G-7-Treffen in London durch das geringe Geldmengenwachstum weiteren Spielraum für Zinssenkungen angedeutet, flippte der Markt aus. Die Akteure haben keinen Zweifel mehr daran, daß noch in diesem Monat die Leitzinsen weiter fallen werden – vielleicht schon bei der Zentralbankratssitzung am Donnerstag. Doch an der Tatsache, daß die Aktienkurse bereits an der Decke angestoßen sind, ändern auch die Zinsspekulanten nichts. In diesem Monat beginnen die Bilanzpräsentationen der Großunternehmen – und deren miese Ergebnisse dürften sich zu einem Datenkranz verdichten, der den hochfliegenden Aktienkurse bald wieder auf den Boden herunterholt. Erwin Single

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