■ Cash & Crash: Tierische Höhenflüge
Berlin (taz) – Es kann eigentlich so nicht weitergehen. Philipp Roth zum Beispiel, vielgefragter Wall-Street-Analytiker, glaubt, daß die gegenwärtigen Aktienkurse um 10 Prozent zu hoch liegen. Roth meint die New Yorker, die auf solche Warnungen hören. Einige Titel, zum Beispiel DuPont und Paper International, gaben am Wochenanfang nach. Eastman Kodak, Westinghouse und auch die Trendschuster von Nike legten betrübliche Quartalsbilanzen vor. Daß ihre Börsenkurse darunter leiden werden, gilt als sicher.
Solcher Realismus ist in Frankfurt außer Mode geraten. Dort herrscht pure Romantik, der Dax schwebte gestern ohne jede Bodenhaftung bei 1925,85 Punkten. Schuld daran ist ausgerechnet Daimler-Benz. Edzard Reuters Mischkonzern schlingert in die größte Krise seiner Geschichte hinein. Doch Massenentlassungen und Spekulationen über den Verkauf des Cash-Fressers AEG festigen auf dem Parkett das Vertrauen in die Zukunft des Unternehmens. Daimler-Aktien stiegen in zwei Tagen um 45,20 Mark auf 766 Mark. Die Werte der Deutschen Bank zogen mit, was zunächst nicht verwundert, dann aber doch, weil dazu das Gerücht beitrug, die Deutsche Bank wolle sich rechtzeitig, das heißt vor dem absehbaren Crash in Stuttgart, von einem Teil ihres Daimler- Paktes trennen.
Pessimistische wie optimistische Prognosen beflügeln offenbar die Gewinnphantasie gleichermaßen. Erhellend ist daher auch in diesem Fall ein Blick über den Atlantik. Das Wall Street Journal läßt regelmäßig einen Affen gegen anerkannte Finanzmanager spielen. Das Tier schmeißt Dartpfeile auf Aktiennamen, die Manager analysieren den Markt. Interessant, aber falsch: Der Affe hätte in der vergangenen Woche einen Gewinn von sieben Prozent gemacht, die Gruppe der Experten mußte sich mit vier Prozent begnügen. Ähnlich grundlos klettern in Frankfurt die Werte der Allianz-Versicherung in wahrhaft tierische Höhen. Die Spekulation dreht sich im Kreis – „Allianz steigt, weil der Dax steigt“, sagen Analytiker, die längst resigniert haben.
Geradezu seriös wirkt dagegen die Börse von Seoul. Auch dort boomen die Aktien, jedoch aus gutem Grund: Präsident Kim Young-Sam traf sich mit dem Chef des Hyundai-Konzerns Chung Se-Yung zu einem Gespräch. Die beiden Männer waren bisher verfeindet, nun aber will Chung der Regierung helfen, und Kim dem Auto- und Technologiekonzern: schlechte Nachrichten für Daimler. Niklaus Hablützel
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