■ Cash & Crash: Börsenfreies Rumänien
Bukarest (taz) – Rumänien pflegt seine Ausnahmezustände. Zum Beispiel den, daß es fünfeinhalb Jahre nach dem Sturz des Diktators Ceaușescu noch immer keine Wertpapierbörse gibt. Was allgemein auf die rumänische Politik der Wirtschaftsreformen zutrifft, gilt auch im Fall der Börse: Ein Gesetzentwurf lag dem rumänischen Parlament bereits vor mehr als zwei Jahren vor. Das Gesetz wurde im August 1994 auch verabschiedet, nachdem IWF und Weltbank massiven Druck ausgeübt und die Freigabe eines Kredites unter anderem an die Gründung der Börse gebunden hatten. Erfahrene ausländische Experten standen zur Verfügung, um das Börsengesetz international üblichen Standards anzupassen.
Es gibt auch eine „Nationale Kommission für bewegliche Werte“, einen Aufsichts- und Exekutivrat der Börse, dessen fünf Mitglieder vom Staatspräsidenten vorgeschlagen und vom Parlament ernannt werden. Sie sind damit entgegen internationaler Regeln nicht unabhängig von der Regierung. Radu Oprea, Mitglied der Kommission und Chef der Abteilung für Marktpolitik, macht „technische Verzögerungen“ dafür verantwortlich, daß die Börse ihre Arbeit noch immer nicht aufnehmen konnte. So ließ sich angeblich kein geeigneter Sitz dafür finden. Oprea verspricht allerdings, daß die Börse in kürzester Zeit zu arbeiten anfangen wird.
Dagegen läßt ein Mitglied des „Zentrums für Planung und Schaffung der Kapitalmärkte in Rumänien“ durchblicken, daß unter Regierungspolitikern kein allzu großes Interesse am baldigen Funktionieren der Börse besteht. Seinen Namen will der Mann nicht zitiert wissen. Denn es geht nicht nur einfach um die Börse, sondern um den gesamten Privatisierungsprozeß.
Laut Plan müssen 70 Prozent der Aktien der Staatsbetriebe an Großinvestoren verkauft, 30 Prozent an die Bevölkerung verteilt werden. Würde die Privatisierung endlich beginnen, dann müßten zahllose Betriebe entweder Leute entlassen und modernisieren oder Bankrott anmelden, denn dann würden sie nicht weiterhin aus dem Staatsbudget unterstützt werden. Daß der Kapitalmarkt, auf dem dann die Aktien der privatisierten Betriebe gehandelt würden, für den Staat mehr oder weniger unkontrollierbar wäre, sieht einer der bekanntesten rumänischen Ökonomen, Varujan Vosganian, auch als Hauptgrund, weshalb noch immer keine Börse existiert. Keno Verseck
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen