■ Cash & Crash: Russischer Luftballon
Berlin (taz) – Über die russische Volkswirtschaft seit dem Ende der Sowjetunion gab es bisher nur eine Gewißheit: Egal, was auf den sonst chaotischen Märkten geschah – mit dem Rubel ging es zuverlässig bergab. Jetzt ist auch diese letzte Gewißheit dahin. Der Rubel gewinnt an Wert, und keiner weiß so recht warum. Am 29. April mußten die RussInnen für einen US-Dollar noch 5.130 Rubel hinblättern. Jetzt brauchen sie dafür nur noch 4.562 Rubel.
Schon werden Verschwörungstheorien laut. Die Zentralbank manipuliere den Kurs nach oben, denn deren Präsidentin Tatjana Paramonova strebe eine erneute Bestätigung im Amt durch das russische Parlament an. Die Regierung, durch die Tschetschenien-Krise geschwächt, suche Erfolge bei der nationalen Währung. Allerdings lassen die Devisentransaktionen der Zentralbank eher den umgekehrten Schluß zu, nämlich daß sie den Rubelhöhenflug zu verlangsamen sucht.
Eine andere Schule von Wirtschaftsexperten möchte die plötzliche Gesundung des Rubels auf die ökonomischen Grundlagen zurückführen. Die Volkswirtschaft stabilisiere sich, und die strengere Finanzpolitik der Regierung zeige Erfolge. Außerdem sei die Rendite auf russische Staatsanleihen so hoch, daß sich eine Anlage in Rubelpapieren lohnt. Und schließlich deuteten erste Daten darauf hin, daß im Mai die Industrieproduktion zum ersten Mal seit Jahren wieder zugenommen habe, was sich auch in steigenden russischen Aktienkursen widerspiegele. Das würde wiederum das russische Fluchtkapital zur Rückkehr bewegen – immerhin geschätzte 60 Milliarden US-Dollar. Wenn noch einige von den innerhalb des Landes gehorteten 20 Milliarden Dollar zurückgetauscht werden, würde diese Nachfrage nach der russischen Währung deren Kurs weiter in die Höhe treiben.
Aber so recht will niemand daran glauben, daß das längerfristig gutgehen kann. Unter anderem, weil die Inflation mit rund acht Prozent monatlich immer noch verdammt hoch ist. Bislang verlor der Rubel nach außen an Wert in dem Maß, wie die Geldentwertung im Inland fortschritt. Jetzt plötzlich steigt der Außenwert des Rubels, obwohl dessen Kaufkraft daheim immer noch schwindet. Pessimisten verweisen schon auf den schwarzen Dienstag im vergangenen Oktober, als der Rubel innerhalb nur eines Tages ein Viertel seines Wertes einbüßte. Die Kassandras rufen schon jetzt ihre Warnungen, der nächste Crash komme im Herbst. lieb
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