■ Cash & Crash: Bären an der Wall Street
Berlin (taz) – Eigentlich ist alles bestens. Seit Monaten ist jede Wirtschaftsnachricht aus den USA positiv: Jobs, Inflation, Unternehmensgewinne, Wachstum – alles bestens. Auch an der Wall Street ist alles ruhig – von dem unweigerlichen Einbruch abgesehen, der am vergangenen Freitag auf die Veröffentlichung der glänzenden US-Arbeitsmarktdaten folgte. Dieses Einknicken des Dow Jones um 114,8 auf 5.588,14 Punkte und weiter auf 5.550,83 Punkte am Montag war eine ganz normale Reaktion: Angesichts einer Arbeitslosigkeit, die auf den niedrigsten Stand seit sechs Jahren gefallen war, befürchten Börsenspekulanten, daß höhere Einkommen zu höherer Inflation und in der Folge zu höheren Zinsen führen.
Unter der Oberfläche hat es aber weitaus heftiger zu gären begonnen. Schon seit Jahren hörte man zwar immer wieder Warnungen, der seit 1987 andauernde Höhenflug der US-Aktien müsse doch irgendwann aufhören. Wer aber auf die Börsen- Kassandras hörte und Aktien abstieß, dürfte sich angesichts der entgangenen Gewinne grün und blau geärgert haben.
Jetzt aber werden immer mehr Börsianer zu Bären, das heißt, sie stellen auf Baisse ein. Die Bullen, die Optimisten also, haben zwar immer noch einige Argumente auf ihrer Seite. So glauben sie, daß die Inflation besiegt sei. Und die Tatsache, daß die US-Zentralbank bei ihrer letzten Sitzung keine Zinserhöhung beschloß, scheint sie zu bestätigen. Die Investitionskosten bleiben daher niedrig, die Unternehmen verdienen prächtig, und ein Druck in Richtung höherer Löhne sei nicht zu erkennen.
Aber die Bären halten dagegen. Einige gehen zwar durchaus auch davon aus, daß sich die US- Wirtschaft weiter positiv entwickeln wird. Aber zuvor würde es zu einigermaßen dramatischen Umstrukturierungen und damit einhergehend spekulativer Unruhe kommen. Einen zeitweiligen Einbruch könnte es auch deswegen geben, weil die US- Bürger mehr Geld denn je in den Aktienmarkt hineinpumpen – mehr, als sie auf Dauer durch Ersparnisse aufbringen können. Die ganz Pessimistischen gehen davon aus, daß der 50prozentige Anstieg der Kurse in den letzten 18 Monaten schlicht verrückt sei – ein Absturz um 1.000 Punkte sei erwartbar. Sie weisen auf die Dividenden hin, die sich schon jetzt auf einem Tiefststand befinden. Der Boom baue also auf Gewinnen auf, die sich als Chimäre erweisen könnten.
Heißt das also, daß der Crash vor der Tür steht? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Vielleicht steigen die Aktienkurse einfach nicht mehr – so wie das zwischen 1965 und 1982 der Fall war. Nicola Liebert
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