■ Cash & Crash: Masse statt Klasse? Der Börsenzugang ist derzeit verstopft
Nürnberg (taz) – Immer mehr neue Aktiengesellschaften drängeln in diesen Wochen an die Börse und wollen frisches Geld bei den Anlegern einsammeln. Allein im Juni wird das Emissionsvolumen rund 30 Milliarden Mark betragen, während im gesamten Jahr 1998 neue Aktien für 6,4 Milliarden Mark auf den Markt gebracht wurden. Die Folge: Der deutsche Aktienmarkt zeigt sich überfordert und spielt nicht mit.
Fast alle Anleger – vom rührigen Kleinaktionär bis zur großen Investmentgesellschaft – haben zwischenzeitlich die Übersicht verloren und reagieren unsicher und zurückhaltend. Die Emissionsflut überfordert sogar die Banken, bei denen häufig ein einzelner Analyst für mehr als hundert verschiedene Unternehmen zuständig ist – da geht so manches in der Vielfalt unter.
Schon führt die Überhitzung des Emissionmarktes zu ersten Konsequenzen: Einige Unternehmen, beispielsweise der Dortmunder Technologiebetrieb Elmos, haben ihren geplanten Börsengang verschoben, andere wie die Veba-Tochter Stinnes AG haben aufgrund der schwachen Nachfrage die Zahl der Aktien für den Börsengang reduziert. Und andere Aktiengesellschaften wiederum mußten die Hoffnungen auf immense Kapitalzuflüsse revidieren und den Ausgabepreis senken.
Noch im vergangenen Jahr konnten sich Anleger fast blind darauf verlassen, daß neue Aktien schon am Ausgabetag deutlich höher notiert wurden als zum Emissionpreis. Mit Unternehmen wie Kinowelt Medien (Kursgewinn am ersten Handelstag: 160 Prozent), Hunzinger (168 Prozent) oder Drillisch (387 Prozent) war innerhalb von Stunden viel Geld zu verdienen.
Doch aktuell kann es Zockern glatt passieren, daß schon der erste Kurs unter dem Ausgabepreis liegt. Und viele der fulminant gestarteten Neulinge setzten schon wenige Tage später zur rasanten Talfahrt an. So verloren beispielsweise die Aktien der Debitel zwischen Ende März und Anfang Juni rund ein Viertel ihres Wertes, Odeon Film büßte von Mitte April bis Anfang Juni gleich ein Drittel ein.
Analysten wie Peter-Thilo Hasler von der Münchner HypoVereinsbank warnen denn auch eindringlich davor, bei jeder Neuemission die Katze im Sack zu kaufen. „Die Anleger müssen lernen, daß auch am Neuen Markt nicht alles Gold ist, was glänzt.“ Nach seiner Einschätzung erreichen die Neuemissionen zur Zeit häufig nicht die Qualität vom vergangenen Jahr.
Horst Peter Wickel
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