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■ Carlas Arbeitsberater:„Mir kommen gleich die Tränen"

Trau keinem über dreißig, und erst recht nicht deinem Arbeitsberater. Carla ist Gott seiDank erst kurz vor dreißig, verheiratet, Mutter von zwei Kindern. Seit ihrem abgebrochenen Studium vor vier Jahren arbeitete sie in ihrem ursprünglich erlernten Facharbeiterinnenberuf als Schriftsetzerin. Ein Jahr nach der Geburt der zweiten Tochter glaubt sie sich auf das Wesentliche im Leben wieder besinnen zu können. Carla beschließt, eine Umschulung zur Verlagskauffrau in Angriff zu nehmen. Was liegt näher, als sich vertrauensvoll an ihr Arbeitsamt im Osten Berlins und dortselbst an den für polygraphische Berufe zuständigen Arbeitsberater Herrn B. zu wenden.

Auf den Termin bereitet sich Carla gut vor, packt Stift und Papier ein; allein: umsonst. Nach Carlas Darstellung ihrer beruflichen Situation und ihrer Vorstellung, daß es ja noch mehr zwischen Himmel und Erde außer festem Job und gut Geld geben müsse, entfährt Herrn B. ein „Mir kommen gleich die Tränen.“

Aha, denkt Carla, der Mann hat täglich mit Opfern der Rezession zu tun. Ein Einfühlen in die solvente zu Beratende fällt schwer, also werden wir konstruktiv – was er denn nun raten würde, zu tun. „Wenn Sie arbeitslos wären, würde ich Sie für zwei Monate zu einem DTP- Kurs schicken und damit genug an Fortbildung. An Umschulung ist bei Ihnen gar nicht zu denken.“

Resigniert packt Carla ihren Stift wieder ein. Nun gut, der Mann will nicht. Als die Türklinke bereits in greifbare Nähe rückt, hat Herr B. denn doch noch eine persönliche Frage, die da lautet: „Sie haben doch zwei Kinder – sind Sie nicht ausgelastet?“ Der ganze Zynismus und die Frauenfeindlichkeit seiner Frage stoßen ihr erst so richtig auf, als sie so schlau wie vorher im Flur steht. bibö

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