Epen : Caput I
Im traurigen Monat November wars,Die Tage wurden trüber,Der Wind riß von den Bäumen das Laub,Da reist ich nach Deutschland hinüber.
Und als ich an die Grenze kam,Da fühlt ich ein stärkeres KlopfenIn meiner Brust, ich glaube sogarDie Augen begunnen zu tropfen.
Und als ich die deutsche Sprache vernahm,Da ward mir seltsam zumute;Ich meinte nicht anders, als ob das HerzRecht angenehm verblute.
Ein kleines Harfenmädchen sang.Sie sang mit wahrem GefühleUnd falscher Stimme, doch ward ich sehrGerühret von ihrem Spiele.
Sie sang von Liebe und Liebesgram,Aufopfrung und WiederfindenDort oben, in jener besseren Welt,Wo alle Leiden schwinden.
Sie sang vom irdischen Jammertal,Von Freuden, die bald zerronnen,Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
Verklärt in ewgen Wonnen.
Sie sang das alte Entsagungslied,Das Eiapopeia vom Himmel,Womit man einlullt, wenn es greint,Das Volk, den großen Lümmel.
Deutschland
Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Weinund predigten öffentlich Wasser.
Ein neues Lied, ein besseres Lied, O Freunde, will ich Euch dichten!Wir wollen hier auf Erden schonDas Himmelreich errichten.
Wir wollen auf Erden glücklich sein,Und wollen nicht mehr darben;Verschlemmen soll nicht der faule BauchWas fleißige Hände erwarben.
Es wächst hinieden Brot genugFür alle Menschenkinder,Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,Und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,Sobald die Schoten platzen!Den Himmel überlassen wirDen Engeln und den Spatzen.
Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,So wollen wir Euch besuchenDort oben, und wir, wir essen mit EuchDie seligsten Torten und Kuchen.
Ein neues Lied, ein besseres Lied,Es klingt wie Flöten und Geigen!Das Miserere ist vorbei,Die Sterbeglocken schweigen.
HEINRICH HEINE