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■ Der vierte perverse Vater ist der beste: Thomas Vinterbergs Dogmafilm „Festen“

Es regnete, nein, es schüttete. Sogar die gestrengen Wächter, die die Leute nach ihrem weißen, rosafarbenen, hellblauen oder (ganz schlecht!) gelben Presseausweis sortieren, erbarmten sich und ließen die Schlange ein wenig breiter werden, damit mehr Wartende unter das schützende Dach des Festivalpalais paßten. Der Donner grollte dermaßen, daß man glaubte, Godzilla sei wahrhaftig schon im Anmarsch. Aber dann war es doch wieder nur der kinderschänderische Vater, dem man begegnete.

„He who makes a beast of himself gets rid of the pain of being a man“: Dr. Samuel Johnson (1709 bis 1784) liefert offenbar nicht nur das Motto zu „Fear and Loathing in Las Vegas“, sondern überhaupt zum dominierenden Thema des Festivals. Thomas Vinterbergs Version „Festen“ ist allerdings die bislang stärkste. Vinterberg gehört zu den Unterzeichnern jener zehn filmischen Reinheitsgebote, die unter dem Namen Dogma 95 bekannt wurden. Jedem nun, dem die Vermeidung des Schmerzes, Mensch und somit auch eitel und korrumpierbar zu sein, die Verwandlung in ein Rindvieh nicht wert ist, müssen Dogmen, gar Reinheitsgesetze in der Theorie als Horror, in der Praxis aber als der blanke Terror erscheinen. Mit einer gewissen Erleichterung – wenn auch Verwunderung, ob das wirklich ernst gemeint sein kann – liest man daher die Entschuldigung Vinterbergs, daß er die Sache mit der Reinheit nicht ganz hingekriegt habe. Unter anderem sündigte er, indem er die schwere 35-mm-Kamera einmal aus der Hand aufs Stativ setzte und ein anderes Mal eine Hotelrezeption baute, die am Drehort fehlte. Nun möchte ich eigentlich nicht Vinterbergs Beichtvater, sondern nur die Betrachterin seines Films sein. Der ist allerdings den Kinobesuch wert. Die Ausgangslage ist der von Chéreaus „Ceux qui m'aiment prendront le train“ ähnlich, nur ist es nicht ein Todesfall, sondern der 60. Geburtstag des Vaters, der die Familie versammelt. Mutter, Tochter, zwei Söhne, die Gäste, darunter Zeremonienmeister Helmut von Sachs, ein Stahlbaron aus dem Ruhrgebiet, sowie das Personal machen das großbürgerliche Gruppenbild perfekt. Der jüngste Sohn Michael wird als Ekel eingeführt, die Tochter Helene als neurotische höhere Tochter, während Mutter die eiskalte Wasserträgerin des Vaters ist. Der Jubilar Helge Klingenfeldt bittet seinen ältesten Sohn Christian, die Eröffnungsrede zu halten. Er fürchtet, aus dem Konzept zu kommen, weil ihm der Selbstmord von Christians Zwillingsschwester noch zu stark zusetzt. Am Ende wird nicht nur der Vater, sondern die ganze Geburtstagsgesellschaft aus dem Konzept kommen. Thomas Vinterberg gelingt es, Protagonisten mit differenziertem Charakter zu zeigen, die anders als erwartet agieren: der jüngere Sohn opportunistischer, der ältere konsequenter, der Vater weit weniger nervös.

Ob das schlechte Licht in den nächtlichen Innenräumen oder die Handkamera zur größeren Wahrhaftigkeit des Film beitragen, ist nicht ohne weiteres zu sagen. Die unerbittliche Dogma-Ästhetik allerdings gibt der Unerbittlichkeit, mit der die großbourgeoise Festgesellschaft versucht, die Fassade aufrechtzuerhalten, ihr adäquates hartes Bild. Brigitte Werneburg

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