CannesCannes: Laßt sie tun, was Frauen heute tun
■ Ein Hilfeschrei und ein bißchen gute Laune dank „Velvet Goldmine“ von Todd Haynes
Es kann gar nicht anders sein: Es muß mit den besonderen Vorlieben von Auswahlkommissionen zu tun haben. Wie könnte es sonst sein, daß die jungen Filmhochschultalente aus aller Welt, deren Förderung sich eine neue Einrichtung in Cannes namens „Cinéfondation“ verschreibt, alle das gleiche altmodische, pseudopoetische Zeugs drehen. Den Vogel schoß die Finnin Hanna Miettinen ab, die es tatsächlich fertigbrachte, 1998 einen kurzen Film über eine kleine Gruppe Frauen zu drehen, die in irgendwelchen vierziger Jahren (an der Mode sollt Ihr es erkennen) auf einem Bahnhof auf ihre aus dem Krieg heimkehrenden Männer warten! Unter ihnen ist eine aufgetakelte Schöne, und die – siehe da – wartet nicht auf den Angeber, den man im Zug beobachtet, sondern auf den netten Schüchternen. Sankta Maria!
Ich meine, es warten sowieso schon viel zu viele Frauen in viel zu vielen Filmen auf erschossene Jazzsaxophonisten mit blauen Steinen und auf sonstige nette oder idiotische Männer. Doch wenn man gerade beginnt, dann malt man doch nicht – wie es Liana Dognini tut – Mama, Papa, die ackern, säen, wässern und ernten, um dem Kind ein neues Auge zu kaufen, das dann doch nicht richtig paßt. Wenigstens. Aber man hat sich ja trotzdem sehr, sehr lieb.
Mir geht's inzwischen wie Nanni Moretti beim Fernsehen, wenn er Dalema bittet, etwas Linkes zu sagen. Ich sitze da und sage, laßt die Mädchen doch im Supermarkt einkaufen, dort arbeiten oder klauen, bitte, bitte, es muß ja nicht originell sein, nur laßt sie irgend etwas tun, was Frauen heute tun. Bitte. Schickt sie nicht exquisit auf den Strich, wie Lodge Kerrigan „Claire Dolan“ oder Taiwan-Meister Hou Hsiao-Hsien seine „Flowers of Shanghai“. Bitte, trimmt die alte Geschichte von der Hure (Celimene, Susan Sarandon) und der Heiligen (Rachel, Katherine Borowitz) nicht schwerhändig zum tausendundersten Mal auf, wie es John Turturro in seinem Gepriesen-sei-das-alte-Theater-Film „Illuminata“ tut.
Ich werde noch zur Befürworterin von Lars von Triers Dogma. Wenn man sich an dessen Spielregeln hält, braucht es übrigens keine Filmhochschulen mehr. Nur noch eine billige Videokamera. Und Geschichten, die hier und heute spielen. Vor allem im Kopf, nicht nur den Drehort betreffend.
Diese Sünde aber beichteten Vinterberg und von Trier erst nachträglich: Sie haben nur auf 35 Millimeter aufgeblasen, nicht auf 35 Millimeter gedreht. Man vermutete es zwar, aber weiß man wirklich, wie stark sich schlecht ausgeleuchteter Film von Video unterscheidet? Zum ersten Mal richtig gute Laune verschaffte Todd Haynes und „Velvet Goldmine“. Es ist die Geschichte um den Glam- Rockstar Brian Slade (Jonathan Rhys Meyers), der – um seiner Pop Persona zu entkommen – seine Ermordung vortäuscht, von den Fans vergessen wird und dabei als industrieller Rockstar Tommy Stone längst wieder die Arenen füllt. Man kann nun nicht sagen, daß Haynes diese Geschichte, die der Reporter Arthur Stuart (Christian Bale) aufdeckt, irgendwie nachvollziehbar auf die Reihe kriegt, aber wen interessiert das schon, wenn der Anfangssatz lautet: Dies ist zwar eine erfundene Geschichte, trotzdem sollte man sie mit maximaler Lautstärke spielen.
Wenn man das tut, stellt man fest, daß die Musik von Gary Glitter, T. Rex oder Roxy Music, die man über zwanzig Jahre nicht mehr gehört hat, überraschend frisch, geradezu euphorisierend wirkt. Man sollte natürlich auch die hinreißenden Kostüme mit voller Lautstärke bestaunen. Brigitte Werneburg
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