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CannesCannesMit allzu reservierter Miene

■ Die Palmen sind vergeben: Gold für Theo Angelopoulos, Jury-Lob für Roberto Benigni

Wenn man trotz all der Leute auf der Croisette dazu kam, mal auf den Boden zu schauen, dann stand dort das Lob auf einen Film der Nebenreihen hingepinselt: „Two Bad Mice Fuck Godzilla“ und ein paar Schritte weiter: „Two Bad Mice Fuck Godzilla Twice“. Das könnte wahr werden, denn so überzeugend war der Hollywood-Blockbuster nicht. Allerdings stand diese Konkurrenz nicht zur Debatte.

Gewonnen hat die Goldene Palme nun also Theo Angelopoulos mit „L'éternité et un jour“, der Geschichte eines sterbenden Schriftstellers, den die Begegnung mit einem Straßenkind wieder in Kontakt mit dem Leben bringt, mit all dem, was er schon abgeschrieben hat, das Schreiben und die Erinnerung an seine längst verstorbene Frau. Die Geschichte ist mäßig interessant, die Inszenierung erträglich elegisch, der Preis wohl eher eine Kompensation für die entgangene Palme 1995, als „Der Blick des Odysseus“ nur den Großen Preis der Jury bekam. Vielleicht war die Palme dann doch eine Überraschung und Angelopoulos' Miene daher eher reserviert. Bruno Ganz, sein Hauptdarsteller, saß Sonntag mittag, lange vor der Preisverleihung, schon in der Maschine nach Berlin.

Den Großen Preis der Jury erhielt Roberto Benigni für „La vita è bella“, eine Filmkomödie, deren Kern in einer letztlich oberflächlichen und sentimentalen Vater-Sohn-Geschichte besteht, die freilich bei ihrer Vorführung in Cannes mit stehenden Ovationen bedacht wurde. Selbst wenn man es nicht für illegitim hält, das Überleben im Konzentrationslager komödiantisch anzugehen, fällt bei „La vita è bella“ doch unangenehm auf, daß das Grauen des Konzentrationslagers nur dazu dient, eine endlose Nummernrevue in Gang zu setzen, in der es Benigni zwar gelingt, seinem Sohn das Elend als spaßiges Spiel zu verkaufen, jede weitere politische, historische Reflexion jedoch tunlichst zu vermeiden. Daß der Bürgermeister von Jerusalem den Film als „wichtigen Beitrag zum Verständnis der jüdischen Geschichte“ empfiehlt, zeigt eigentlich nur, daß die Begriffe völlig ins Schwimmen geraten sind.

Unter anderem wurde auch Ken Loachs „My Name is Joe“ als Palmen-Anwärter gefeiert, nun ist es sein Hauptdarsteller Peter Mullan, der als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde — eine kluge Entscheidung. Die Teilung der Preises für die beste weibliche Hauptrolle zwischen Elodie Bouchez und Natacha Regnier stimmt. Der Preis hätte allerdings auch an Isabelle Huppert gehen können, die in Benoit Jacquots „Lécole de la chair“ brillierte. Dieser Film wäre auch eher den Spezialpreis der Jury wert gewesen, den sich nun Claude Miller („La classe de la neige“) mit Thomas Vinterberg („Festen“) teilt. Beide Male geht es um den kinderschänderischen Vater, aber nur bei „Festen“ wird die Sache filmisch-dramaturgisch interessant.

Daß Patrice Chéreau ganz leer ausging, erstaunt. Doch mit dem Preis für die beste Regie an den Briten John Boorman („The General“) wurde letztlich der subtilste und daher vielleicht in der Kritik am meisten unterschätzte europäische Autorenfilm gewürdigt.

Tendenzen lassen sich bei den Entscheidungen der männlich- weiblich paritätisch besetzten Jury unter dem Vorsitz von Matin Scorsese eigentlich nicht ausmachen, es sei denn die für politische Korrektheit. Man wünschte zwar dem Gewinner der Goldenen Kamera für das beste Spielfilmdebüt, Marc Levine, vor allem in den Vereinigten Staaten Zuschauerzahlen, wie sie „Titanic“ einfuhr, doch „Slam“, der Film über einen schwarzen Rap-Poeten, war in seiner politischen Botschaft am Ende doch allzu didaktisch und gut gemeint. Gut gemeint auch der Drehbuchpreis an Hal Hartley für „Henry Fool“. Vielleicht nur gut gemeint, aber letztlich richtig: der Spezialpreis für den künstlerischen Eindruck für Todd Haynes „Velvet Goldmine“. Brigitte Werneburg

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