Cannes Cannes: Grausame und schmutzige Geschäfte
■ Robert Altmann gibt sich in seinem neuen Film „Kansas City“ mal wieder als angewiderter alter Mann
Man stellt sich Cannes aus der Ferne immer als die Verlängerung dieser palmengesäumten Uferstraße, der Croisette, vor, auf der es elegant und glitzernd zugeht. Statt dessen kann man hier das seltsame Phänomen beobachten, daß Massen Massen anziehen: Produzenten, Kamerateams, Kritiker und natürlich die Stars, insgesamt etwa zwanzigtausend Leute, ziehen etwa dreimal soviele Touristen an, obwohl diese in der Regel keine Chance haben, Filme zu sehen. Ein Volksfest also: Vor dem Hauptgebäude steht ein Karussell, man kann große rosa Herzen, Cannes-T- Shirts oder Reiskörner kaufen, in die man den eigenen Namen oder den eines Stars oder gar eine Kombination aus beidem eingravieren läßt. Auf das riesige Plakat zu Bertoluccis „Beauté volée“ mit dem Konterfei von Liv Tyler wirft eine Frau gelangweilt kleine Plastikmänner, die der Tyler dann von oben herab in den Ausschnitt krabbeln. Die Vorbeigehenden kichern. Afrikaner verkaufen Sonnenbrillen, Akkordeonisten und Leierkastenmänner schrummeln vor Straßenrestaurants. Nach ihnen kommen junge Herren und werfen scheibenförmige Pappbriefchen mit Kondomen drin, wozu sie kühn lächeln. Übrigens finden jedes Jahr gleichzeitig auch die Porno- Filmfestspiele, die „Hot d'Or“, statt, bei denen in diesem Jahr eine gewisse Tabatha Cash Triumphe feiert. Nachts verschwindet der ganze Spuk, es blinkt nur noch vom Meer her und aus den Palmen, um deren lange Hälse Glühlampen geschlungen sind.
Es ist so eine Sache mit Spielfilmen über einfache Leute. Wie ein Gefälle zwischen Filmemacher und Sujet vermeiden, ohne eine Soap-opera oder die Fußbroichs zu drehen? Die Protagonisten in „Secret Lies“, dem neuen Film des britischen Regisseurs Mike Leigh, heulen viel, schneutzen sich, erröten und schwitzen; sind also, wie sich das für Proleten gehört, vor allem Körper, oft um ein Wort verlegen. Da Leigh als Linker das Ganze aber gleichzeitig auf Tragödienformat hochziehen muß, entsteht dieser Effekt der Lächerlichkeit, der mit einer Komödie nichts, mit schlechtem sozialen Gewissen alles zu tun hat.
Wie es John Sayles gelingt, diese Klippen zu umschiffen, ohne ein „Anliegen“ aufgeben zu müssen, ist mir ein Rätsel. „Lone Star“ – so hieß Texas, als es noch unabhängig war – ist mit Kris Kristofferson! Als Sheriff Charlie Wade! Der Film spielt heute, in Frontera, nahe der mexikanischen Grenze. Sam, der Sohn von Charlie Wade und der neue Sheriff, versucht herauszufinden, wer sein Vater eigentlich war: Ein Korrupter oder ein Gerechter? Sayles zeigt, wie beides möglich ist und wie Sam sogar noch mit der Englischlehrerin eins wird. Kakteen, Juke-Boxen, Wüstensand, Enchiladas und Archäologie der unmittelbaren Vergangenheit: „Lone Star“ sieht gut aus, klingt gut und erklärt einem alles, was man schon immer über den Rio Grande wissen wollte.
Ob es sich dabei um die Country-Music aus Nashville oder die Mode aus Paris handelt – Robert Altman entdeckt stets dahinter das schmutzige Geschäft und muß doch immer wieder die Nase hineinstecken. Das schon deshalb, weil er ja weiß, daß eine Show von Dolly Parton oder die Umkleideräume hinter dem Laufsteg von Gaultier den Glanz abwerfen, den er zum Aufbau der richtigen Fallhöhe braucht: Seht das eitle Treiben der Menschen, wie sie sich spreizen auf ihrem Narrenschiff, und seht ihren Fall.
Nun, bei „Kansas City“ bestand Hoffnung, daß er diesmal einen etwas anderen Zugang zu seinem Stoff gefunden haben könnte. Altman stammt selbst aus der Stadt, und die Jazz-Clubs, in denen der Film spielt, hat er in den vierziger Jahren oft besucht, bevor er Bomber-Pilot im Zweiten Weltkrieg wurde. Zeit der Handlung ist die Depression – Roosevelt im Radio und Bennie Motens Orchestra in der Bar. Blondie O'Hara (Jennifer Jason Leigh als Jean Harlow-Imitat) kidnappt die Frau eines Roosevelt-Beraters (Miranda Richardson), um ihren Jonny freizubekommen, der vom Gangsterboß Seldom Seen (Harry Belafonte) festgehalten wird. Gleichzeitig finden Wahlen statt. Während Belafonte im Corleone-Stil vor seinem bibbernden Opfer lange Reden über Macht und Ohnmacht führt, und die beiden Frauen durch Heime für junge Mädchen und Kaschemmen ziehen, sammeln die Demokraten Trupps von Arbeitslosen, die sie zehn Mal zur selben Wahlurne schicken für ein paar Dollar mehr. And the band plays on... Zugemüllt mit Musik, um die es eher schade ist, pastellfarben und kunstregen-beträufelt wirkt dieser Film wie ein animiertes Heimatmuseum, in das ein alter, angewiderter Patriarch für 158 Minuten seine Enkel zum Spielen geschickt hat. Das absurd grausame Ende reißt es auch nicht heraus. Mariam Niroumand
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