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Archiv-Artikel

CORNELIA KUHNERT, TÖDLICHE OFFENBARUNG Celles dunkelstes Kapitel

Von ILK
Dies dürfte wohl der erste Regionalkrimi sein, der sich auch als Lektüre für den Geschichtsunterricht eignet

Das Marketing mancher Verlage hat dem Regionalkrimi zu einiger Verbreitung verholfen – und zu einem zweifelhaften Ruf. Sind Regionalkrimis wirklich so provinziell? Das will diese Serie in loser Folge ergründen.

Auf dem Golfplatz Isernhagen wird ein erdrosselter Lokaljournalist gefunden. Der Tote, Henry Broderich, ist ein Unsympath, gern mit spitzen weißen Cowboy-Stiefeln und schwarzer Lederjacke unterwegs, der mit Blogs wie „Isernhagen-Online“ oder „Burgdorf-Online“ viele in der Region gegen sich aufgebracht hat. Nicht zuletzt, weil zu seinen Auftraggebern Freiherr von Wörstein und dessen rechtsradikale Partei „Aufrechte Deutsche“ gehören. Wörstein will in einem ehemaligen Landschulheim in der Nähe von Hannover ein rechtes Schulungs- und Veranstaltungszentrum aufbauen.

Gegen das geplante Zentrum regt sich Protest, und als der junge Aktivist Felix, der vor dem Landschulheim für eine geplante Protestaktion gegen das Schulungszentrum Fotos von der dortigen Szene machen wollte, spurlos verschwindet, stößt Hauptkommissar Max Beckmann vom politischen Kommissariat Hannover zu den Ermittlungen.

Was wirklich hinter der Ermordung von Broderich und dem Verschwinden von Felix steckt und dass Claudia Kuhnerts „Tödliche Offenbarung“ mehr als nur ein dramaturgisch sehr ausgereifter Krimi ist, wird klar, als der Journalistin und Ex-und-wieder-Affäre von Beckmann, Martha Landeck, Protokolle von Interviews einer US-Amerikanerin zugespielt werden, die sich mit dem 8. April 1945 in Celle beschäftigen.

An diesem Tag, der als „Celler Hasenjagd“ in die Geschichtsbücher einging, griff die US-Air-Force Celle an. Ein Zug mit mehr als 3.000 Gefangenen aus mehreren Konzentrationslagern stand im Güterbahnhof und sollte ins KZ Bergen-Belsen fahren. Als die Gefangenen die Flucht aus dem bombardierten Zug ergriffen, machte die SS Jagd – unterstützt von Soldaten, Polizisten und Celler Zivilisten: 170 Gefangene wurden zu Tode gehetzt. Dieses Massaker in den letzten Kriegstagen wurde in der offiziellen Stadtgeschichtsschreibung lange spärlich behandelt. Auch wurden die meisten Täter nie zur Rechenschaft gezogen.

Kuhnert stellt diesen Tag ins Zentrum ihres Krimis und hat die Ereignisse des 8. April gründlich recherchiert. Ihr gelingt das Kunststück, die Perspektiven zwischen dem Mordfall an Broderich und dem Verschwinden von Felix, dem Celler Massaker und den Verbindungen von alten zu heutigen Nazis so zu verweben, dass es bis zum Schluss aufregend und schlüssig bleibt.

Ein Glücksfall ist „Tödliche Offenbarung“ auch für das oft zurecht geächtete Genre des Regionalkrimis, das in vielen Fällen nicht über simples Lokalkolorit hinauskommt. Und es dürfte wohl der erste Regionalkrimi sein, der sich auch für den Geschichtsunterricht eignet – als Aufklärungslektüre über das dunkelste Kapitel der Celler Stadtgeschichte.  ILK

Cornelia Kuhnert, Tödliche Offenbarung, Klampen-Verlag, 426 S., 14,80 Euro

Kuhnert liest am 14. September in der Sauna in Wilhelmshaven aus „Tödliche Offenbarung“, Friedenstraße 99