piwik no script img

COMMANDER HAMMER

Vom Platz der Republik aus ins All  ■ H E L D E N D E R A R B E I T

„Nothing can satisfy

but what confounds

Nothing but what astonishe

is true.

(Edward Young; Night Thoughts

Vor einigen Jahren reifte in Michael „Mike“ Hammer der Entschluß, einen lange gehegten Traum in Wirklichkeit umzusetzen. „Auf jeden Fall werde ich in den Weltraum fliegen - & nicht mehr zurückkommen. Irgendwo da draußen“ bei diesen Worten weist er eher ungefähr nach jenseits seiner Montagehalle - „werde ich einen kleinen Planeten finden, der mir zusagt, & dort werde ich landen & bleiben.“

Skeptisch blickt der Chronist sich um, ... in einer Ecke des Hammerschen Weltraum-Laboratoriums liegt ein Häufchen verkohlter Aldi-Haarspraydosen („Ja, nun, das war so ... ich meine, es ist doch so viel von gefährlichen Treibgasen die Rede. Da dachte ich mir: ausprobieren! Habe also diese Dosen mit Klebeband zusammengebaut, einen Schalter konstruiert, so daß ich gleichzeitig alle Sprühknöpfe betätigten konnte... tja, & den austretenden Strahl habe ich dann entzündet: WUMM! hat's gemacht, hübsche Flamme gab das. Naja, aber als Antriebskraft nicht zu gebrauchen. War ein Fehler von mir; dieses Rumgefummel mit primitiven mechanistischen Ideen...“), in einer anderen türmen sich zerlegte Verstärker, ausgeweidete Monokassettenrekorder, zerschlagene Bildröhren, Transistoren, Widerstände (Na klar, Mann, daraus entsteht die elektronische Leitzentrale. Ich muß nur die Teile in die richtige Ordnung bringen, den wirklichen Schaltplan herausfinden, dann organisiert sich das von selbst. Ein bißchen Löten hilft hier & da natürlich. Aber im Grunde muß es in der Tat sich selbst & der Zeit überlassen werden. Meistens kommt im richtigen Moment jemand vorbei, der bringt mit dann weitere Elemente, die sich passend einfügen - & schon gestaltet sich die Struktur etwas komplexer, umfassender.“).

Ein als blecherner, mechanischer Affe getarnter Wecker scheint das Zentrum zu sein, „genau! du kennst doch sicherlich HAL aus 2001, diesen neurotischen Supercomputer. Siehst du, einer solchen - fehleranfälligen!

-Maschine will ich mich nicht anvertrauen. Statt dessen habe ich also diesen Affen, ja, durch ihn laufen die Ströme, & er trommelt seine Analyse, ich zeig's dir mal, so...“ der Affe beginnt auf eine winzige Snare einzuschlagen. „Siehst du, & ich trommele dann die Befehle über dieses Mikro hier in die Schaltkreise rein.“ Sagt's & wirbelt mit Stöcken auf Tomtoms rum. „Ich meine, die wenigsten wissen, daß Nobby Wiener, ja, der Daddy der Kybernetik, sich immer vehement für offene Systeme eingesetzt hat, bei denen der Operator immer wieder die Analyse steuern muß. Er war ein entschiedener Gegner von closed-circuit-Systemen, wie sie der heutige Computerstandard sind, Expertensysteme & so, ja. Deshalb: Der Affee & ich & kein PC oder so.“

An den Wänden überlappen sich ins Riesenhafte vergrößerte Abbildungen submolekularer Strukturen & abstrakte Malereien. „Also, hier siehst du das Raumschiff, ja, da, dieses rote Geklumpe, genau. Die anderen Bilder stellen zumeist Sternkarten dar, ich muß mich da draußen“ - wieder diese ungefähre Armbewegung - „ja orientieren. In diesem Punkt der Sternkarten stehe ich den orthodoxen Wissenschaftlern jedoch äußerst feindlich gegenüber; nicht eine Darstellung statistisch erhobener Daten & Meßwerte ergibt eine brauchbare Sternenkarte, sondern nur die farbige Fixierung eigener Vorstellungsinhalte wird später im All helfen, diese in realis zu identifizieren & sich an ihnen eben zu orientieren.“ Und ein undurchschaubares Gewirr von Kabeln verbindet verschiedene elektrische Teile mit Leinwänden & in Weingläsern angesetzten Bakterienkulturen. „Du wirst davon gehört haben, daß sie die neuen Computer mit Proteinen fahren wollen, Biochips. Nun, ich verfolge dieses Konzept schon geraume Zeit! Die runde Form eines Weinglases hat sich als besonders effektiv erwiesen, wenn die Konzentration der eingehenden Datenströme verstärkt werden soll, & das wiederum ermöglicht profunde Analysen.“

Auf die Frage, ob er tatsächlich glaube, sein Raumschiff werde eines Tages fliegen, antwortet Commander Hammer: „Nun, das hängt ja nicht nur von mir ab. Beispielsweise wird mir bis heute eine Starterlaubnis für den Platz der Republik versagt. Doch ansonsten ... das Raumschiff wächst. Es ist eben nicht so eine Art mechanischer Maschine, sondern ein komplexes, mit mir interagierendes System, u.a. muß es später selbst Sauerstoff & Nahrung produzieren können. Ich denke, in naher Zukunft, sehr bald, werden wir zusammenwuchern, das Raumschiff & ich, & dann, dann kann's losgehen.“

Des Chronisten Bitte Folge leistend, wirft sich der zukünftige Astronaut in seinen Raumanzug, einen alten, abgetragenen Bademantel - „Organische Stoffe, mein Lieber! Darin liegt die Lösung!“ - & nimmt im Kommandosessel Platz, vor sich ein kleines Plastiksegelschiffchen mit Glühbirnenbeleuchtung. „Zum einen ist dieses Schiff ans System angeschlossen & bedeutet den Kurs. Zum anderen erleuchtet es folgenden Weg: es erinnert an das alte Motto navigare necesse est... derjenigen, die noch auf dem Ozean, diesem inzwischen vom Weltraum abgelösten Symbol der verschlingenden Mutter Unterbewußtsein, segelten & neue Lebensräume entdeckten.“

Auf fast alle Fragen weiß der Held der Arbeit Commander Hammer eine Antwort: ob er z.B. Furcht vor schwarzen Löchern habe, sich auf den Kontakt mit außerirdischen Lebensformen vorbereite („Ich nehme Kondome und eine Polaroid-Kamera mit“). Sorge bereitet ihm allerdings noch das Antriebssystem, sicher kein geringes Problem, doch hofft er auf das Improvisationstalent einiger ehemaliger DDR-Bürger, zu denen er diesbezügliche Kontakte geknüpft hat. Anderen Mitmenschen hält er sich zurück, „erst denken die, ich spinne, & dann wollen sie alle mit“. Er möchte seine Arbeit auch keineswegs als dramatisches Zeichen für die Menschheit mißverstanden wissen („Ach Gottchen!“). Umfangreiche Lektüre von Fachpublikationen („Perry Rhodan, die Silver-Surfer -Comics & Pynchons Gravity's Rainbow sind wirklich inspirierende Quellen“) ersetzt ihm den wissenschaftlichen Austausch. „Die arbeiten doch eh alle für die Industrie, also das Pentagon.“ Von der Industrie hält er nicht viel, „keinen Pfennig Unterstützung bekomme ich von denen, ja, & auch vom Minister für Wissenschaft & Forschung habe ich nichts gehört. Ignoranten, überall nur Ignoranten!“ Als Misanthrop aber will Commander Hammer sich auch nicht sehen, „gut, ein oder zwei Leute nehme ich wohl mit. Vorausgesetzt, daß das System die verkraftet und der Affe sein o.k. trommelt.“

R.Stoert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen