CHRISTIAN RATH ZUM RECHT AUF VERGESSENWERDEN : Google muss nicht löschen
Niilo Jääskinen ist ein belesener Mann. Er kennt nicht nur Shakespeare, sondern auch Thomas Bowdler, der im 19. Jahrhundert eine entschärfte, weniger anstößige Version von Shakespeares Werken herausgegeben hat. Was Jääskinen nun verhindern will, ist eine Bowdler-Version des Internets. Der Generalanwalt musste mit seinem Gutachten („Schlussantrag“) eine EuGH-Entscheidung von großer Tragweite vorbereiten. Es geht um die Frage, ob Google alte Informationen löschen muss oder nicht.
Zu Recht hält Jääskinen das europäische Recht für anwendbar, auch wenn Googles Suchmaschinen in Kalifornien stehen. Google verdient sein Geld mit dem Verkauf von Werbung, die auf die jeweiligen Märkte zugeschnitten ist. Deshalb ist es gerechtfertigt, den Dienst am EU-Datenschutzrecht zu messen. Nicht überzeugend ist es, wenn Jääskinen Ansprüche gegen Google schon deshalb verneint, weil die Suchmaschine nicht für die Daten verantwortlich sei – das seien nur die Inhaber der verlinkten Webseiten.
Dass Jääskinen mit seiner Ansicht beim EuGH nicht durchkommt, weiß er selbst. Deshalb hat er „hilfsweise“ geprüft, ob Google ein „Recht auf Vergessenwerden“ beachten muss. Und stellt fest, dass die aktuelle EU-Datenschutzrichtlinie von 1995 kein derartiges Recht kennt. Dieses „Recht auf Vergessenwerden“ will die EU-Kommission im Zuge der geplanten neuen EU-Datenschutzverordnung ja auch erst einführen.
Die Informationsfreiheit sowie die Meinungs- und Pressefreiheit sind für demokratische Gesellschaften so wichtig, dass es Privaten nicht erlaubt werden muss, den Zugang der Öffentlichkeit zu persönlich unangenehmen Informationen zu verhindern. Es ist zu hoffen, dass der EuGH in einigen Wochen für ein freies Internet und gegen eine entschärfte Bowdler-Version entscheiden wird.