CHRISTIAN FÜLLER ÜBER DEN FETISCH ZENTRALABI : Bildung für das 21. Jahrhundert
Ein zentral abgehaltenes Abitur strahlt von jeher große Faszination aus. Die Abiprüfung, das ist der größte Tag einer Schulkarriere. Es wäre ein bundesweites Bildungserlebnis, wenn alle AbiturientInnen sich zugleich über Goethes Gedichte, Tangentialrechnungen und Erörterungen politischer Fragestellungen beugten. Ein Feiertag der Erkenntnis. Ein Traum – leider auch ein Albtraum.
Gerade die großen Bundesländer beweisen beinahe jedes Jahr, wie katastrophal sich eine einzige Panne im Zentralabitur erweisen kann. Eine geleakte Aufgabe oder eine falsch oder unverständlich gestellte Prüfungsfrage, wie kürzlich in Nordrhein-Westfalen geschehen, und schon stehen Tausende SchülerInnen vor der Krise ihres Lebens: Wird die zweite Prüfung so gut wie die erste? Wird mein Abi schlechter, weil Schulbeamte geschlampt haben?
Es wird Zeit, den Traum vom zentralen Einheitsabitur endlich sein zu lassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Kultusbürokratie erst auf nationale Abituraufgaben und dann auf einheitliche Prüfungs- und Ferientermine einigt, liegt ohnehin bei nullkommanull. Schon jetzt haben die Kultusminister ein Jahrzehnt für die Vereinbarung gebraucht, sich auf ein gemeinsames Abi zu einigen.
Das Zentralabitur ist Fetisch, seit das Abitur vor über 200 Jahren ersonnen wurde. Aber heute herrschen andere Bildungsideale als zu Zeiten Friedrich Wilhelms III. Es geht nicht darum, dass alle über dieselbe Hürde springen und an derselben Elle gemessen werden. Individualität, Kreativität und Kooperation sind die Währungen des 21. Jahrhunderts, nicht Kollektivität, Uniformität und Einzelkämpfertum. Es wird Zeit, dass die Kultusminister das der Nation sagen und an einem leistungsfähigen und fairen Bildungssystem für alle arbeiten – nicht nur für AbiturientInnen.
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