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Archiv-Artikel

CHAMPAGNERBUDDY, MODE UND EIER IM GLAS Die Hot-Hospital-Vision

VON JENNI ZYLKA

Auf dem Weg zu einem Nach-Modenshow-Trink-Event in einem dekadenten Club in den Berliner Wolken, dessen Existenz ich immer schon ahnte, in den ich mich aber bis zu diesem Wochenende nie reinzuschmuggeln vermochte, sagte im überfüllten Fahrstuhl ein reizender britischer schwuler Gentleman: „Hier in Deutschland steht man immer so nah zusammen! Bei uns in England müsste man nach der Fahrt gleich heiraten!“ „Bei uns auch“, strahlte ich, hängte mich an seinen Arm und verbrachte den Abend mit meinem neuen Champagnerbuddy Dave und den Themen „Sammeln und Messietum – wo ist der Unterschied?“, „Alt sein – besser als Jung sein?“ und „Mode – muss man das verstehen?“.

Schließlich kam sein Partner, der bei einer vorangegangenen Show leider nicht den ersehnten Preis für den besten Nachwuchsdesigner bekommen hatte, und wir trösteten von ganzem Herzen.

Auf die Frage, wo die beiden sich kennen gelernt hätten (Dave ist 62, sein Designerfreund 32, und sie sind seit 12 Jahren ein Paar), erzählte Dave, dass sein boyfriend im day job als nurse arbeitet, und man sich quasi gleich ins Krankenbett legen konnte. Auf die Mode-Station jenes Londoner Krankenhauses möchte ich aber auch mal eingewiesen werden!

Am Samstag danach verfolgte mich die Hot-Hospital-Vision: Eine Schuhverkäuferin, in deren Gegenwart ich weiße Sandalen mit dem Argument wieder auszog, sie sähen zu sehr nach Krankenschwester aus, behauptete: „Ich war bis vor einem Jahr Krankenschwester, solche Schuhe habe ich garantiert nie getragen!“ Was soll man dem entgegensetzen. Ob sie über Rotlicht-Highheels Ähnliches gesagt hätte?

I wear Italian shoes

Am Abend bummelte ich vom letzten Laufsteg an der Siegessäule (italienische Schulterpolsterhemden mit Liegestuhldruck) durch den Tiergarten zurück in belebtere Gegenden, summte Willy de Villes „There’s something about me / the women all love / I wear italian shoes! Soft like butter / fit like a glove / I wear italian shoes!“ vor mich hin und zählte die Wildtiere: ein Häschen, ein Mäuschen und, im Biergarten des Cafés am Neuen See, ein fettes Rättchen, das für einiges Aufsehen sorgte, als es unter den Tischen herumgaloppierte.

Dabei hatte ich immer gedacht, alle Berliner Ratten wohnten in Kreuzberg und dezimierten sich lemmingemäßig jeden Sommer kollektiv ein wenig, indem sie in den Landwehrkanal sprängen, ertränken und an den Ankerklause-Frühstückern vorbeitrieben. Aber vielleicht war Frau Ratte ja bereits auf dem Weg nach SO.

Ich eilte ihr also hinterher, schaute ein wenig später zu, wie der Würgeengel-Barkeeper sieben Drinks auf einmal mischte, und rechnete mühsam aus, wie viele verschiedene Komponenten er bei durchschnittlich aus drei Zutaten bestehenden Cocktails im Kopf behalten müsste: so um die 21! Eine beachtliche Leistung.

Um es mir puppiger zu machen, schwenkte ich dagegen nachts zuhause noch eine Conelly-Fertigmischung „Sex on the beach“: Man schüttet den Inhalt der beiden aneinandergesteckten Dosen (die obere enthält „100 ml Spirituosenkomponente“, die untere „150 ml Fruchtsaftkomponente, pasteurisiert“) zusammen und hat, schneller, als die Polizei erlaubt, 250 ml Spaß mit „alc. 11,0 % vol. im Fertiggetränk“.

Sonntag ging ich das Fahrrad holen, das beim samstäglichen Unwetter in Mitte stecken geblieben war, und freute mich, dass Fremde mir so viele ihrer alten Zeitungen im Korb hinterlegt hatten: Das gibt einem ja immer die Berechtigung, das nächste Café aufzusuchen, ein paar Eier im Glas zu essen (und sie nicht aus dem Glas herauszupulen, wie meine Freundin es einmal irrtümlich bei einem Frühstück mit ihrem Chef tat) und nachzulesen, was gestern noch alles passiert ist. Und damit den Retrofimmel aufs Informativste auszuleben.