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■ CDU/CSU im Aufwind? Ein Blick nach Großbritannien zeigt, wie wahre Konservative ihr Comeback vorbereitenBilder einer Aufstellung

Die Tories erobern die Debatte zurück – mit der ungewohnten Message: Wir leben

Christdemokraten, aufgepasst! Ihr gewinnt Wahl um Wahl – und siegt euch zu Tode. Denn außer Grinsen und Grölen bei jeder neuen Hochrechnung hat die CDU/CSU kein Gesicht.

Der neue Chef der Vereinigung der europäischen konservativen Parteien, zu denen auch die CDU gehört, ist seit letzter Woche William Hague, Führer der britischen Konservativen, seines Zeichens der erfolgloseste Rechtspolitiker Europas. Aber seine Kür auf einem Treffen von Europas Rechtsparteien in Berlin war kein Witz, ebensowenig das neu vorgelegte Schäuble/Hague-Papier über den „Rechten Weg“, ein Pendant zu Schröder/Blair. Es war ein Zeichen der Zeit. So wie Schröders SPD von New Labour lernen wollte, so ist auch bei der CDU ein Blick über den Kanal angesagt.

In Großbritannien ist zu lernen, wie wahre Konservative ihr Comeback vorbereiten. Zwar genossen die britischen Tories noch keine spektakulären Wahlerfolge, von der Europawahl einmal abgesehen; aber dafür entwickeln sie einen Reichtum an politischer Kultur, der New Labour ganz schön alt aussehen lässt. Ein Panorama in fünf Bildern:

Erstes Bild: Sieg, Juni 1999. William Hague, seit zwei Jahren Tory-Parteichef, kann zum ersten Mal seit zwei Jahren lachen, ohne dass sich alle bestürzt an den Kopf fassen. Zum ersten Mal haben die Konservativen in Großbritannien gegen New Labour eine Wahl gewonnen. Dass es die Europawahl war, wo die Konservativen dagegen sind, macht den Triumph aber ein wenig irrelevant. Die Konservativen sind wieder da, aber noch nicht am richtigen Platz.

Zweites Bild: Empire, Juli 1999. Michael Ashcroft findet aus den Schlagzeilen nicht heraus. Der Schatzmeister der Tories ist ein schummriger Millionenscheffler. Reich und erfolgreich, setzt er sich ungeniert über alle Regeln und Grenzen hinweg. Seine Geschäfte umspannen den Globus; in gewissen Ecken der Karibik, wo gewaschene Drogengelder die Staaten am Laufen halten, ist er eine viel zu große politische Größe. Kann so jemand die Finanzen einer großen Partei verwalten? Er kann. Alle Rücktrittsaufforderungen aus den Reihen der Regierungspartei lässt Ashcroft abblitzen und steht hinterher solider da als vorher. Jetzt ist er nicht nur reich und erfolgreich – jetzt kennen ihn auch alle! Und seine Partei zieht daraus Nutzen: Die Konservativen mögen klein sein, aber sie sind nicht uninteressant.

Drittes Bild: Rotzfrech, August 1999. Ann Widdecombe war eigentlich ein Nichts, als sie auserkoren wurde, für William Hague die Urlaubsvertretung während der Sommerpause zu machen. Aber die innenpolitische Sprecherin der Partei füllt das Sommerloch wie kein anderer. Denn alle fürchten die Widdecombe-Zunge, seit sie einmal dem früheren Tory-Innenminister Michael Howard sagte, er habe something of the night an sich, und sein Image mit diesem einen Satz bis auf weiteres demolierte. Während Hague stundenlang reden kann, ohne dass es jemand merkt, lechzen die Medien bei Widdecombe nach jeder hingeworfenen Bosheit. Es brauchte wohl eine Frau, um daran zu erinnern, dass die Konservativen doch noch die Partei Margaret Thatchers sind. Endlich kommt die geliebte Figur der grimmigen Gouvernante wieder einmal in ihr Recht. Sie schielt nicht nach Meinungsumfragen und „focus groups“, sondern redet Klartext, politisch völlig unkorrekt, werbemäßig eigentlich eine Katastrophe. Die Leute sind begeistert. Die Opposition ist wieder erwachsen.

Viertes Bild: Offenbarung, September 1999. Michael Portillo wollte eigentlich noch gar nicht zurück auf die politische Bühne. Der ehemalige konservative Verteidigungsminister, zu Amtszeiten ein arroganter Gockel, war der mächtigste Tory, der bei den Wahlen 1997 aus dem Parlament flog und sich in der politischen Wüste wiederfand, weshalb statt seiner der unerfahrene William Hague Nachfolger John Majors als Parteichef werden musste. Die Wüste stand Portillo gut. Er machte nachdenkliche TV-Programme und gefiel sich in der Rolle eines zukünftigen Führers – nach Hagues nächster Wahlniederlage. Aber auch er merkt jetzt: Es liegt etwas in der Luft. Als der alte Abgeordnete Alan Clark, beliebtester Reaktionär Englands und Autor der gemeinsten politischen Tagebücher des Landes in diesem Jahrhundert, plötzlich stirbt und damit der Tory-Wahlkreis Kensington und Chelsea in London frei wird, taucht der Name Portillo wie durch ein Wunder als natürlicher Kandidat auf. Was tut Portillo? Er gibt ein schon vor einiger Zeit geführtes Interview mit der Times frei, in dem er sich als schwul outet. Und wie reagieren Partei und Nation? Wie mutig!, rufen alle. Endlich einmal Ehrlichkeit in der Politik! Portillos politischer Weg ist jetzt nicht nur gebrochen, sondern auch noch schillernd. Ganz anders als William Hague, jener Mann ohne Eigenschaften. Nebenbei ist es eine Meisterleistung, dass nicht der tote Alan Clark die Schlagzeilen beherrscht, sondern der lebendige Michael Portillo. Die Partei blickt nach vorn.

Fünftes Bild: Aufbruch, Oktober 1999. John Major, sieben unglückliche Jahre lang Premierminister, ist längst im Ruhestand, aber er lebt. Um das zu beweisen, wird er am 11. Oktober seine Memoiren vorstellen. Dieses eigentlich recht banale Ereignis lässt die Partei zittern, denn die Partei war in den erwähnten sieben unglücklichen Jahren Majors schlimmster Feind. Weil jeder sich denken kann, was in Majors Buch steht, hat der Verlag der Veröffentlichungstermin extra vom Tory-Parteitag Anfang Oktober weg ein wenig nach hinten verschoben. Zeitgleich mit Major bringt auch Norman Lamont seine Memoiren heraus, zeitweilig Majors Finanzminister und nicht gerade sein bester Freund. Es droht also eine Tory-Schlammschlacht in Buchform. Aber was wird die Moral der Geschichte für die Konservativen sein? Erstens: Zum Glück haben wir das alles hinter uns. Zweitens: Wir sagen, worüber wir uns streiten – anders als eine gewisse andere Partei, die voller falscher Harmonie die Downing Street besetzt hält.

Die Konservativen bestimmen die politische Kultur, New Labour sieht alt aus

Und bald werden die Briten sich verwundert umsehen und merken, dass sie seit Monaten über nichts anderes reden als über Konservative. Die Tories erobern die politische Debatte zurück – mit einer ungewohnten Message: Wir leben. Ganz anders als New Labours Schnösel, deren immergleiches Moralisieren schon lange niemand mehr hören will.

Was hat gegen all dies die CDU/CSU zu bieten? Statt Michael Ashcroft: Alfred Sauter. Ann Widdecombe? Nein, Angela Merkel. Michael Portillo – so einer käme hier nicht über die Türschwelle. Und wer spielt im Oktober den Part von John Major? Oskar Lafontaine. Nein, liebe Christdemokraten, eure Zeit ist noch nicht reif.

Dominic Johnson

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