CDU-Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz: Merkels Ziehtochter
Julia Klöckner gilt als politischer Spross von Angela Merkel. Bei Flüchtlingen schlägt die CDU-Aufsteigerin eigene Töne an – schärfere.
Hundertfünfzig Frauen applaudieren. Genau: Vollverschleierung! Ein Riesenproblem!
Im Hofgut Laubenheimer Höhe in Mainz hat Julia Klöckner zum Ladie’s Lunch geladen. Die Atmosphäre ist rustikal nobel, auf weißen Hussenstühlen sitzen Frauen an porzellangedeckten Tischen. Die Damen haben sich für das Treffen schick gemacht: teure Handtaschen, getuffte Frisuren, alter Schmuck. Auf dem Parkplatz warten geräumige Limousinen. Es gibt Poularde oder Ravioli, dazu Wasser und Apfelsaft. Julia Klöckner hat sich dieses Format der Wählerinnenpflege ausgedacht. Gutes Essen, kurzer Vortrag über ihre Ziele, anschließend Fragen. „Frauen denken Neues, denken anders und vernetzen sich. Und das macht Spaß“, steht in der Einladung.
Seit Deutschland von einer CDU-Frau regiert wird, ist auch dem Letzten klar: Ohne Frauen sind keine Wahlen mehr zu gewinnen. Julia Klöckner hat diese Nachhilfe nie gebraucht. Sie ist Anfang vierzig, ausgestattet mit erheblicher Machtfülle und der grundsätzlich positiven Erfahrung, in einer sich wandelnden CDU als Frau alles werden zu können. Die stets gut gelaunte Politologin bildet die gefühlte Schnittmenge aus alter Bundesrepublik und 21. Jahrhundert.
Herkunft: geboren 1972 in Bad Kreuznach. Wächst mit ihrem Bruder auf dem elterlichen Weingut auf. Studium der Theologie, Politik und Pädagogik. 1995 wird sie Deutsche Weinkönigin. Bis zum Einstieg in die Politik Arbeit als Religionslehrerin und Autorin - später Chefredakteurin - der Weinwelt.
Partei: 1997 Eintritt in die CDU. Rasante Karriere in der Landespartei. 2002 Wechsel in den Bundestag, ab 2009 Staatssekretärin im Verbraucherschutzministerium. 2010 Wahl ins CDU-Präsidium, seit 2012 stellvertretende Bundesvorsitzende. 2011 legt sie ihr Bundestagsmandat nieder und wechselt zurück nach Mainz. Auf dem Landesparteitag 2012 nennt Helmut Kohl sie "einen Glücksfall für die Partei".
Privat: Die begeisterte Rennradlerin lebt mit einem Medienberater zusammen, das Paar ist kinderlos.
Schwule, Kirche, Elterngeld
Klöckner ist Mitglied im Zentralkomitee deutscher Katholiken und setzt sich für die Rechte Homosexueller ein. Während ihrer Zeit als Bundestagsabgeordnete leitete sie die Kommission „Bewahrung der Schöpfung“, und in der hitzig geführten Debatte über das Elterngeld vertrat sie die Position der berufstätigen Mütter und Väter. Seit fünf Jahren ist Klöckner Mitglied des CDU-Präsidiums in Berlin, vor drei Jahren hat der Bundesparteitag sie zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Beide Male mit Traumergebnissen von über neunzig Prozent.
Julia Klöckner
Jetzt will sie ihre Landes-CDU an die Regierung bringen. Vor fünf Jahren hat sie den Vorsitz übernommen. Sie wollte damals in Mainz Ministerpräsidentin werden, verlor aber gegen den ewigen SPD-König Kurt Beck – knapp. Im Frühling will sie es erneut versuchen. Diesmal heißt ihre Gegnerin Malu Dreyer.
Es wäre wichtig, dass es diesmal klappt: Denn Julia Klöckner ist schon weit mehr als ein politisches Talent. Der 42-Jährigen werden sowohl die Fähigkeit als auch der Biss nachgesagt, das Zeug zur Kanzlerin zu haben. Ihr fehlt aber noch der Nachweis, es auf Landesebene geschafft zu haben, also das operative Geschäft zu beherrschen. 2021, bei der übernächsten Bundestagswahl, wäre Klöckner im besten Kanzlerinnenalter.
Kanzlerinnendämmerung?
Aber vielleicht wird sie schon eher gebraucht. Wegen Merkels Flüchtlingspolitik orakelt die bürgerliche Presse gerade ganz elektrisiert vom „Anfang vom Ende“ der Kanzlerin. Und in Bayern betreibt ein ausgeflippter CSU-Ministerpräsident Fundamentalopposition am rechten Rand. Wo steht in all der Erregtheit Julia Klöckner?
Es ist ja kein Geheimnis, dass sie Merkels politische Ziehtochter ist. Die Kanzlerin schätzt die kluge und wortgewandte Klöckner. Doch zur dunklen Seite des Geschäfts gehört bekanntlich, dass der Zögling sich beizeiten von seinem Förderer emanzipieren muss. Nur so kann das Versprechen einer Erneuerung glaubhaft vermittelt werden. Angela Merkel selbst hat das mit ihrem Ziehvater Helmut Kohl nicht anders gehalten, als sie sich während der CDU-Spendenaffäre 1999 von ihm abwandte. Auch die Aufsteigerin Julia Klöckner steht gerade vor der Frage, ob sie ihrer Parteivorsitzenden noch folgt. Oder ob sie sich von ihr absetzt. Ob sie ihren Wählern nach dem Mund redet oder ob sie loyal zur Politik der Kanzlerin steht.
Momentan macht sie beides. Auf der Laubenheimer Höhe, vor den hundertfünfzig Frauen, erwähnt sie ein ums andere Mal die Kanzlerin. Ob bei Bildung, Wirtschaft oder Familie – stets flicht Klöckner ein, wie eng sie sich da mit Angela Merkel abstimmt. Doch beim Flüchtlingsthema holt sie ihre Zuhörerinnen bei deren Vorbehalten ab. „Barmherzig, aber konsequent“ müsse die deutsche Mehrheitsgesellschaft den Flüchtlingen gegenüber auftreten, sagt sie mit ernstem Gesicht. Asylrecht dürfe nicht mit Einwanderung gleichgesetzt werden.
„Frau Glöggner, isch find Se ganz doll“
Auf die besorgte Frage einer Zuhörerin nach dem Verlust der christlichen Werte in dieser gottlosen Zeit verweist sie generös auf den areligiösen Osten – so weit sei es ja hier in Rheinland-Pfalz gottlob noch nicht. Leider aber liefere Glaube auch die Grundlage für Fundamentalismus. Deshalb, na klar, kämpfe sie für das Burkaverbot. „Frau Glöggner, isch find Se ganz doll“, sagt daraufhin eine der Damen.
Die Burkanummer zieht immer. In diesem Bild gerinnen sämtliche diffusen Ängste nicht nur von CDU-Wählern: Eine gesichtslose, bis zum Boden verschleierte Frau, von ihrem Ehemann vor den Blicken der Öffentlichkeit versteckt. Höchst selten sieht man tatsächlich mal eine in deutschen Innenstädten, eigentlich so gut wie nie. Statt dessen zeigen die Medien in diesem Herbst erschöpfte Mütter mit bedenklich dünnen Kindern in deutschen Turnhallen, denen es gerade egal sein muss, ob ihr Kopftuch richtig sitzt. Aber Politiker wie Julia Klöckner oder Jens Spahn, eine andere Hoffnung aus dem CDU-Präsidium, sprechen lieber über Vollverschleierung und Werte, auf die die deutsche Gesellschaft „keinen Rabatt“ geben dürfe.
Das klingt nach der unseligen „Leitkultur“-Debatte der Nullerjahre, die sich als Gegenentwurf zur „multikulturellen Gesellschaft“ verstand und eine Offerte an die politische Rechte war. Auch damals ging es um eine Art Forderungskatalog, an den Einwanderer sich zu halten hätten. Von ihnen forderte die damalige CDU-Vorsitzende „ein sehr klares Bekenntnis zur Nation, zu unserem Vaterland, zu weltoffenem Patriotismus, zu Toleranz und Zivilcourage“. Ihr Name: Angela Merkel.
Merkels Vorarbeit
Fünf Jahre später wurde sie Kanzlerin und wuchtete fortan das Land brachial in die politische Mitte. Wo diese Mitte, also die Mehrheit, ist, da ist auch Merkel. In der Flüchtlingsfrage aber ist gerade fraglich, ob Merkels CDU mit ihrer Vorsitzenden mitgeht. Ob sie ihre Partei diesmal überfordert.
Die Reflexe der Leitkulturdebatte ähneln denen von heute. Die fröhliche Julia Klöckner kann sehr unlustig werden, wenn es um ihre Ansprüche an das künftige Zusammenleben mit den Flüchtlingen geht. Erst kürzlich war sie in einer Flüchtlingsunterkunft in Idar-Oberstein. Als es dort zu einem „spontanen Zusammentreffen“ mit einem Imam kommen sollte, ließ der ausrichten, er werde ihr aber aus religiösen Gründen nicht die Hand geben. Frau Klöckner kommentierte dies mit dem Satz: „Dann ist er wohl im falschen Land.“
Seither legt sie kräftig nach. Via Bild erklärte sie, nicht das liberale Deutschland müsse sich ändern, sondern „manche Zuwanderer“. Sie fordert mittlerweile Leistungskürzungen für Asylbewerber, die „Regeln nicht einhalten“. Und natürlich, sie setzt sich gegen die Vollverschleierung ein.
Futter für Fremdenfeinde
Sie hetzt nicht, nein. Aber sie stellt diffuse Forderungen auf, die das Weltbild von Fremdenfeinden bequem unterfüttern. Sehr deutsche Forderungen sind das: die Flüchtlinge sollen „Integrationsverträge“ abschließen. Julia Klöckner spricht von „Spielregeln“, meint aber das verbriefte deutsche Misstrauen gegenüber dem Unbekannten. Es passt halt gerade gut, sie ist schon im Wahlkampfmodus.
Am Abend jenes Tages, der mit dem Ladie’s Lunch so aufgeräumt begonnen hatte, hat Klöckner noch einen anderen Termin. „Treffpunkt Julia Klöckner“ heißt das Format in der Alten Lokhalle von Mainz. Hier ist alles etwas rustikaler: An Biertischen sitzen achtzig Besucher. Klöckner steht in der Mitte und hält ihren Vortrag: Bildung, Wirtschaft, Infrastruktur, die Burkafrau – im März bitte CDU wählen. Anschließend kann gefragt werden.
„Wie wird das weitergehen, Frau Klöckner?“
Es melden sich ausschließlich Männer, von Spaß wie bei den Ladies ist eher wenig zu spüren. „Wie wird das weitergehen mit dem ganzen Asyl, Frau Klöckner?“, fragt einer. „In fünfzig Jahren werden wir Deutsche in der Minderheit sein, es wird die Scharia herrschen.“ Ein anderer erzählt eine jener Legenden, laut der anlässlich seines Schwimmbadbesuchs eine arabische Großfamilie in voller Alltagskleidung ins Becken gesprungen sei und der Bademeister nicht eingeschritten sei – „weil man nichts mehr sagen darf“. Der Herr habe das Bad daraufhin verlassen. „Das war mir dann zu schmutzig.“
Julia Klöckner antwortet: Ohne Migranten wüsste sie schon mal nicht, wer „uns alle“ später einmal pflegen werde. „Aber ich verstehe, was Sie meinen. Wir müssen konsequent sein, wo sich jemand übers Grundgesetz stellt.“ Sie nimmt einen Schluck Wasser. „Ich bin jetzt emotional“, fährt sie fort, „aber wir Christen müssen uns fragen, ob wir für unseren Glauben einstehen. Haben Sie keine Angst! Die Bibel ist eine einzige Geschichte von Fluchterfahrungen.“ Das also ist es, was eine CDU-Spitzenpolitikerin ihren Wählern mitgibt. Fester glauben! Nach politischer Mitte wie bei Angela Merkel klingt das weiß Gott nicht.
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