■ CDU-Parteitag in Düsseldorf: Nur ein Stündchen der Wahrheit
„Jetzt ist die Stunde der Wahrheit“, sprach der Kanzler, und den Delegierten auf dem CDU-Parteitag in Düsseldorf war wohl bewußt, daß den Wählern an diesem Satz vor allem ein Wort haften bleiben wird. Warum erst „jetzt“, werden sie fragen, warum nicht früher? Kohl mag sich erlöst fühlen: Der Satz ist raus. Die CDU aber ist so ratlos als wie zuvor.
Ein Ruck ging nicht durch die Partei – auch nicht der von vielen erwartete Rechtsruck. Was immer FDP und SPD treiben mögen: Die Christdemokraten zeigten sich auf ihrem Parteitag in Düsseldorf nicht obrigkeitsstaatlicher, nicht chauvinistischer als gewohnt. Die Zuwanderungspolitik, in der CDU unter dem Titel „Asylproblem“ verhandelt, weckte keine überschwappenden Emotionen. Die neonationalen Maastricht-Gegner in der Partei taten kaum einen Mucks. Und vollends überrumpelten die Präsidiumswahlen am Montag alle diejenigen, die prophezeit hatten, nun würden die Modernisierer endgültig in die Besenkammer gesperrt.
Die Themen, die Heiner Geißler oder Klaus Töpfer verkörpern, sind auch für die CDU offensichtlich immer noch nicht erledigt. Oder sollte es bloßes Mitleid sein, warum der Gratwanderer Geißler und der im Bundeskabinett isolierte Umweltminister so viele Stimmen einheimsten? Immerhin leistet sich die Partei auch einen jungen Generalsekretär, der Themen wie den Nord-Süd-Ausgleich nicht von der Tagesordnung rutschen ließ. Peter Hintze war es zuzuschreiben, daß die Parteiführung einen Antrag zur Annahme empfahl, der bis zum Jahr 2000 deutsche Entwicklungshilfe in Höhe von einem Prozent des Bruttosozialprodukts verlangt.
Das sind pure Absichtserklärungen, es sind aber auch keine Signale eines überhandnehmenden Wohlstandschauvinismus. Statt eines Rechtsrucks leistete die Partei sich einen Ostrutsch. Sicher ist es auch ein Zeichen von Kohl-Verdrossenheit, wenn die technokratischen Kanzlerzöglinge Rühe und Krause durchfallen, der wortkräftige Heinz Eggert hingegen triumphiert. Die Delegierten haben mit dieser Wahl auch ihren Anspruch auf parteiinterne Demokratie angemeldet – gegen die ausgeklügelte Regie der Parteiführung und die Kungeleien der Funktionäre.
Aber sie wählten mit Eggert auch einen Mann, der mit ganz anderer Autorität ein „normales Nationalbewußtsein“ für sich reklamiert und mehr Sicherheit und Ordnung verlangt, als dies den verkrampften Parteitaktikern des Westens gelingen könnte. Es ist die Sprache des Ostens, die das Sprechen auch in Westdeutschland verändern wird. Welche Politik daraus folgt? Das weiß die CDU selbst noch nicht. Eine Stunde für die Wahrheit – das war zu kurz. Hans-Martin Tillack
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