CDU-PARTEITAG: GEQUÄLTE SEELEN WOLLEN GESTREICHELT WERDEN: Über Macht und Herz
Wer die Macht hat, muss nicht in besonderem Maße auch noch über die Fähigkeit verfügen, den Mitstreitern die Herzen zu wärmen. Macht hat ihren eigenen, schwer zu übertreffenden Charme. Gerhard Schröder wäre in der Opposition wohl nie zum Vorsitzenden einer SPD gewählt worden. Als Kanzler muss er nicht geliebt werden. Sein Amt garantiert ihm die breite Unterstützung seiner Partei.
Das sieht anders aus, wenn eine Partei die Macht erst erringen will – oder gar durch deren Verlust verunsichert ist. Es ist fraglich, ob Wolfgang Schäuble nicht auch ohne die Finanzaffäre der CDU sein Spitzenamt relativ bald verloren hätte. Achtung hat ihm die Partei stets entgegengebracht, auch deshalb, weil er wie kein anderer der Basis das inhaltliche Rüstzeug für die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner geliefert hat. Aber er tat sich immer schwer damit, eigene Gefühle zu zeigen und Emotionen zu wecken. Auf der Siegesstraße ist das kein Problem. Wenn der Weg steinig wird, wollen gequälte Seelen gestreichelt werden.
Angela Merkel hat bewiesen, dass sie dieses Bedürfnis kennt und ihm Rechnung zu tragen versteht. Mehr noch: Sie hat gezeigt, dass sie die Wünsche der großen Mehrheit auch dann zu bedienen bereit ist, wenn sie damit Freunde verletzt. Die neue CDU-Vorsitzende hat in Essen den Delegierten ein Ende der Krise versprochen und den Prozess der Versöhnung mit Helmut Kohl eingeleitet, den die Partei erkennbar wünscht. Indirekt hat sie sich so von Wolfgang Schäuble auf eine Art und Weise abgegrenzt, die frösteln macht. Aber den braucht sie ja nun auch nicht mehr.
Erheblich mehr Loyalität gegenüber seinem einstigen Mentor hat der neue Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz in seiner Rede an den Tag gelegt. Aber auch sein rhetorischer Stil spricht mehr die Köpfe als die Herzen an. Der Verlauf des Parteitags legt die Vermutung nahe, dass die neue Mannschaft die alte Arbeitsteilung beibehalten wird: Die Spitze der Fraktion kümmert sich um die Inhalte, die Spitze der Partei um das wohlige Gemeinschaftsgefühl. Ein Blick auf die Vergangenheit der CDU lässt keine Zweifel daran aufkommen, mit welcher Aufgabe sich größerer Lorbeer ernten lässt. BETTINA GAUS
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