CDU-Nachwuchs über Engagement: „So liebe ich Politik“
Diana Kinnert ist 26, internetaffin, lebensfroh, liberal und lesbisch. Zuletzt leitete sie das Büro von Peter Hintze. Ein Gespräch mit dem It-Girl der CDU.
taz.am wochenende: Frau Kinnert, wer sind Sie?
Diana Kinnert: Also ich bin ich – Diana Kinnert aus Wuppertal. 26 Jahre alt, in Berlin lebend.
Sind Sie nicht CDU-Politikerin?
Politiker ist man, wenn man ein Mandat besitzt, Parlamentarier ist. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich habe auch kein hauptamtliches Parteiamt oder so was. Von daher: nein.
Ihr Markenzeichen ist Ihre Mütze. Warum tragen Sie die?
Ich war Juniordetektiv. Mein Papa, der ist bei der Polizei, Justizbeamter. Ich habe deshalb sehr früh angefangen, Krimis zu lesen. TKKG, die Knickerbocker-Bande, Die drei Fragezeichen, so was. Mein Papa hatte mir einen Detektivkoffer gekauft und gesagt, er geht jetzt ins Gefängnis und bewacht Verbrecher. Und ich habe gesagt, ich gehe jetzt in den Wald und suche Verbrecher. Ich bin damals SherlockHolmes-Fan geworden – und mit elf Jahren habe ich dann angefangen, Schirmmützen zu tragen.
Person: 1991 in Wuppertal geboren. Der Vater ist Spätaussiedler aus Schlesien, die Mutter stammte von den Philippinen. Sie lebt in Berlin.
Werdegang: Studentin der Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin, Göttingen und Amsterdam. Ehemals Büroleiterin des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Peter Hintze. Kinnert ist Vizepräsidentin der Global Media House GmbH.
Buch: „Für die Zukunft seh‘ ich Schwarz. Plädoyer für einen modernen Konservatismus.“ Rowohlt, erscheint am 19. Mai 2017.
Sie sind erst 26 Jahre alt, haben bis zu dessen Tod das Büro des CDU-Abgeordneten Peter Hintze geleitet, sind in Parteikommissionen und Thinktanks unterwegs. Wundert Sie das nicht manchmal selbst?
Wenn mich etwas wundert, dann, wie einfach das war.
Wie einfach war es denn?
Schon sehr einfach, ehrlich gesagt. Ich habe mich ja nirgendwo beworben. Ich engagiere mich in der CDU, seit ich 16 Jahre alt bin. Noch während der Schulzeit habe ich bei einem Journalistenwettbewerb des Axel Springer Verlags mitgemacht, gleich nach dem Abi boten sie mir eine Hospitanz an. Das war für mich das erste Mal die Erfahrung: Wenn du mehr machst als nur Hausaufgaben, dann kommst du auch irgendwohin. Später habe ich zu Politik gebloggt, unter anderem darüber, dass Parteien strukturell hinten sind. Daraufhin kam die Konrad-Adenauer-Stiftung auf mich zu und sagte: Wir wollen einen Jugendbeirat, gründe den doch mit uns. Daraufhin kam die Bundes-CDU auf mich zu.
Würden Sie zustimmen, dass Sie ein sehr interessantes Leben führen?
Na ja, das letzte Jahr war doch eher traurig für mich. Meine Mama ist vor einem Jahr gestorben. Kurz darauf starb mein Ratgeber Rupert Neudeck und Ende November schließlich Peter Hintze. Das war schwer. Und vielleicht leide ich ein bisschen unter Stress, weil ich gerade ein Buch geschrieben habe, was schon auch mit Blockaden verbunden war. Aber ja, ansonsten geht es mir gut. Ich reise viel, treffe interessante Menschen, meine Aufgaben sind spannend.
Sie haben da eine Verletzung an der Hand. Woher kommt die?
Die Verletzung habe ich aus den USA, da war ich beim Spring Break. Ich habe nach etwas gegriffen, dabei ist mir jemand mit einem Messer in die Quere gekommen.
Beim Spring Break, dieser Saufveranstaltung mit Alkoholeintrichtern? Grauenhaft.
Genau das habe ich nicht gemacht. Ich war beim Gay Spring Break. Letztes Jahr hatte ich mit zwei lesbischen Freundinnen beschlossen, einmal im Leben zum legendären Dinah-Shore-Wochenende nach Kalifornien zu fliegen. Seit nun schon über 25 Jahren kommen für fünf Tage im Jahr über 20.000 Frauen im Hard-Rock-Café und Hilton Hotel in Palm Springs zusammen.
Klingt ziemlich nobel.
Ja. Darin liegt meine einzige Kritik: Ganz so divers konnte das Festival nicht gewesen sein, wo das Preisniveau schon eindeutig separierte. Das Wochenende war aber vor allem ein Erkenntnisgewinn: Normalerweise bin ich nicht der Mensch, der Geschlecht und Sexualität lifestylemäßig ausstellen muss. Ich gehe nicht auf ausschließliche Frauenpartys oder so was, das mache ich einfach nicht, weil offene, liberale, diverse Veranstaltungen doch am angenehmsten und spannendsten sind. Beim Dinah Shore bin ich das erste Mal sehr bewusst in eine ausschließlich weibliche, feministische, lesbische Ecke gegangen.
Die Berliner Polizei macht mit, die Polizei Hamburg auch. Seit Kurzem ist auch die Wache in Franken auf Facebook und Twitter. Werden Ordnungshüter jetzt #likeable? Außerdem in der taz.am wochenende vom 13./14. Mai: die Wahl im Iran. Präsident Rohani hat gute Chancen auf eine zweite Amtszeit. Eine Reportage aus Teheran und Karadsch. Und: Diana Kinnert ist 26, tätowiert, lebensfroh, lesbisch und das It-Girl der CDU. Ein Gespräch über Partys, Politik und Tod. Das alles – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Waren Sie stolz, dazuzugehören?
Ja, mich hat gerührt, wie die Leute aus sich herausgehen, weil sie sich auf ihren Schutzraum verlassen konnten. Es gab da diese Poolparty, den ganzen Tag mit HipHop-Bands, Alkohol und Tanz. Auf einmal stoppte die Musik, eine Frau stand auf der Bühne und sagte ins Mikrofon: Wir sind hier nicht nur zum Spaß, wir sind eine politische Gemeinschaft. Ich möchte, dass jede von euch genau jetzt ihr Handy rausholt, in ihrem Wahlkreisbüro anruft und sich wünscht, dass man sich dort mehr für Gay-Rechte einsetzt. Und alle machten das – mitten auf der Party, alle halbnackt, alle betrunken, gerade geflirtet oder geknutscht, aber sie machten es. Und das hat mich gerührt.
Warum?
So liebe ich Politik. Wenn Politik kein professionalisierter Geschäftsbetrieb ist, bei dem man wegen irgendeines Karriereziels dabei ist. Ich will, dass jeder, der irgendwie mit betroffen ist, mitmacht. Und das fand ich bei diesem Spring Break so sehr schön. Es war natürlich auch banal, Alkohol und Sex, es ging aber eben auch um Identität und Intimität, um Politik und Kampf.
Um ehrlich zu sein, wollte ich Sie gar nicht zu Ihrer sexuellen Orientierung befragen. Das empfinde ich als privat. Aber so, wie Sie es gerade schildern, ist es natürlich auch wieder politisch.
Genau. Ich stelle es eigentlich auch ungern aus, weil ich nicht nur unter „jung, bunt, weiblich, gay“ abgebucht werden will. Ich bin schon einfach mehr als ein Sammelsurium von Minderheitenattributen. Ich will, dass man über meine Meinung spricht. Über meine Inhalte.
Okay, was sind das für Inhalte?
Also, ich wünsche mir einen öffentlichen Diskurs über digitale Kultur, weil ich finde, dass im Digitalen sehr viele Grundrechte angefasst werden. Gerade an der Datenschutzfrage wird sich entscheiden, was es für Geschäftsmodelle auch in Deutschland geben kann. Dann denke ich viel über den konservativen Grundwert der Souveränität nach. Der ist mit dem Hochziehen von Stacheldrahtzäunen einfach nicht mehr einlösbar. Da verlangt es globale Abkommen, die eventuell auch manchmal unfein sind.
Das klingt verdammt nach CDU.
Nicht so schnell. Was Gesellschaftspolitik angeht, bin ich superliberal. Ich habe gar kein Problem damit, wenn Schwule und Lesben heiraten und das auch so genannt wird. Und ich finde Adoption total vorbildlich. Kein Mensch hat ein Recht auf ein Adoptivkind, aber jeder hat das Recht auf eine Bewerbung darauf. Dann soll das Jugendamt eben prüfen: Sind das jetzt zwei Männer hassende Lesben? Dann würde ich denen das Kind auch nicht geben, denn dann bereiten sie es nicht auf die Hälfte der Welt vor. Aber das kann man doch im Einzelfall klären, ohne Geschlechtlichkeit pauschal zu beurteilen.
Würden Sie gern ein Kind adoptieren?
Ich will schon Kinder haben. Aber ich weiß nicht, ob ich die kriege, ob die vielleicht meine Partnerin irgendwann kriegt oder ob wir adoptieren. Das weiß ich alles nicht.
Ihr Vater ist Spätaussiedler aus Schlesien, Ihre Mutter stammte von den Philippinen. Sie sind in Wuppertal geboren und pendeln aktuell zwischen Jerusalem, Palm Springs, Seattle und Berlin. Könnte man sagen, dass Ihnen eine gewisse Ruhelosigkeit innewohnt?
Ich finde, Ruhelosigkeit klingt negativ. Als wüsste ich nicht, wo ich zu Hause bin. Ich glaube schon, dass ich in meinen Grundfesten weiß, wo ich hingehöre, aber ich bin ein Freund von Ausflügen. Ich habe zwei Jahre lang Peter Hintzes Büro geleitet, von 8 bis 18 Uhr. Nun genieße ich, tagtäglich neu irgendwo hinzukommen und noch nicht zu wissen, was da so los ist.
Sie gelten als politisches It-Girl. Politiker und Meinungsmacher schmücken sich gern mit Ihrer Expertise, mit Ihnen als Person. Warum ist das so?
Sagen wir mal so: Als ich Ende 2014 angefangen habe, mich als Jugendbeirat der Konrad-Adenauer-Stiftung zu engagieren und in Peter Taubers Parteireform-Kommission mitzumachen, lag sehr schnell ein öffentlicher Fokus auf mir. Das war seltsam, weil ich zuvor schon verdammt lange Parteiarbeit gemacht hatte. Ich bin aus echtem Interesse zu den Veranstaltungen der Konrad-Adenauer-Stiftung gelatscht, auch wenn ich da meist die einzige Junge war. Trotzdem wusste am ersten Kommissionstag niemand, wer ich bin. Peter Tauber sagte bloß: witzige Mütze. Es ist mir wichtig, dass die Leute erfahren, ich wurde nicht ernannt, weil ich gut vorzeigbar bin, sondern weil ich mich jahrelang über inhaltliche Arbeit ausgezeichnet hatte. Dann erst – Ende 2014 – wurde ich ein bisschen vorgezeigt.
Das war ja auch verlockend. Frau, jung, migrantisch – alles, wofür sich die CDU nach der letzten Wahl öffnen wollte.
Ja. Die haben sich natürlich erst einmal gefreut, mich als Jungfernblättchen da so vorzuzeigen. Aber ich halte ja nicht meinen Mund. Ich habe zum Beispiel gesagt, wie rückständig ich die Haltung der CDU zur Öffnung der Ehe finde. Ich habe gesagt, dass das ein verschlafener Kultursieg ist und ich mich dafür schäme, der Partei anzugehören, die niemals von sich aus dafür gewesen sein wird – wie es heute scheint. Da habe ich gemerkt, die Leute, die am Anfang misstrauisch waren, die fanden mich auf einmal gut, weil sie gemerkt haben, ich habe wirklich etwas zu sagen.
Sind Sie mit Peter Tauber per du oder per Sie?
Per du.
Und mit Angela Merkel?
Per Sie. Ich rede aber auch nicht so häufig mit ihr.
In Ihrem Buch steht geradezu Hymnisches über Parteien. Aber auch Frustrierendes über die Mühen der Ebene, über den lauen Kompromiss und die stickigen Hinterzimmer. Was findet jemand wie Sie attraktiv an Parteien?
Grundsätzlich finde ich, wir haben ein richtig starkes Parlamentssystem, das eben über Parteien funktioniert. Die sind nichts anderes als parlamentarische Gruppen, die sich nach Werten und Programmatik sortieren. Und wenn in einem Parlament Urentscheidungen über das Gemeinwesen gefällt werden, empfinde ich es als demokratische Pflicht, dass da möglichst alle mitmachen.
Woher rührt dieses Pflichtgefühl?
Ich reagiere schon immer stark auf Kategorien wie Schuld und Gewissen. Als Juniordetektiv hatte ich mal einen schwachen Moment. Der Kaugummiautomat war kaputt, und ich drehte so lange dran rum, bis alle Kaugummis herausgefallen waren. Da habe ich tagelang mit mir gehadert, weil ich den Kaugummiautomaten bestohlen hatte.
Weil Ihr Vater Polizist ist?
Das kommt von beiden Eltern. Meine Mama war so eine leidenschaftliche Gerechtigkeitsfanatikerin. Mein Vater ist ein eher ruhiger, nüchterner, aber sehr rechtschaffener Typ. So bin ich aufgewachsen: Zwischen diesem sehr Passionierten und dem sehr Vernünftigen. Auf dieser Doppelschiene bin ich der Frage nachgegangen, wo Gerechtigkeit überhaupt anfängt. Nicht jedes Gesetz ist ja gerecht. Es muss zuerst gemacht werden. Dadurch kam ich auf und zu den Parteien.
Aber warum dann ausgerechnet die CDU?
Weil ich alles andere irgendwann für mich ausgeschlossen hatte. Ich war nie Sozialist, Kommunist oder so was, das ist nicht meine Gedankenwelt. Bei der CDU habe ich eine von den Grundwerten her komplexe Gesellschaftstheorie erkannt, zu der meine eigene Programmatik gepasst hat. Die Grundfrage zum Beispiel – wo fängt es denn an? – stellt die CDU schon beim Geldverdienen, nicht erst beim Geldverteilen. Deswegen war ich auch immer Unternehmerfreund und Infrastrukturfreund. Die Gelder müssen doch erst einmal reinkommen. Dann die Marktwirtschaft an sich, die erst einmal bedeutet: kein Zwang, kein Konformismus. Du kannst mehr machen, du kannst weniger machen. Das ist Freiheit.
Also das Prinzip Volkspartei, auf das sich die CDU viel zugutehält.
Ja. Und auch die liberale Bürgerlichkeit, die Freiheit der Lebensführung: Als Staat ist mir egal, ob du rauchst, ob du Auto fährst, ob du dein Kind zu Hause erziehen willst oder nicht, das entscheidest du. Ich finde bei der CDU überzeugend, dass der Mensch erst einmal komplett Mensch und Bürger ist und nichts weiter. Ich kenne dieses Gefühl, dass du als Migrant immer Migrant bleibst, ein Opfertyp, der bemuttert werden muss. In der CDU bist du als Imbissbesitzer aber erst mal Unternehmer. Und als Frau zum Beispiel Arbeitnehmerin, Verbraucherin. Das finde ich gut, dieses liberale Mindset.
Diese Mitte-CDU vollzieht gerade ein gesellschaftliches Rollback: das Ende des Doppelpasses. Leitkultur-Gebote. Enttäuscht Sie das nicht?
Ich finde das traurig. Aber dass sich in der CDU die gesamte Gesellschaft widerspiegelt, ist für mich ihre große Stärke und zugleich natürlich auch ein Unheil. In meinen Berliner elitären urbanen Kreisen muss ich mich gelegentlich selbst daran erinnern, dass ganz viele Deutsche Gartenzwerge vor der Haustür stehen haben. So ist Deutschland und nicht, wie ich es beim Flanieren durch Berlin-Mitte erlebe. Die CDU spiegelt Deutschland wider. Zweifelt die Gesamtgesellschaft, hadert sie mit etwas, fürchtet sie sich, sucht sie ein Gestern, tut es die CDU eben auch. Gerade deswegen finde ich es umso wichtiger, mich da einzubringen.
Verzeihen Sie Ihrer Partei eigentlich alles?
Es gibt diesen Adenauer-Satz: Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind; andere gibt’s nicht. So. Ich kann mich drüber ärgern, dass es den Brexit gibt, dass es Trump gibt. Ja, aber was hilft das? Ich kann doch nur konstruktiv und integrativ mitarbeiten.
Heißt das, Sie sind in die CDU eingetreten, um sie zu verändern?
Um mich geltend zu machen. Ich will sie nicht auf den Kopf stellen. Aber ich habe meine Position und weiß ganz genau, wo die Mainstream-Meinung der CDU noch von mir entfernt bleibt. Und ich kann nichts anderes machen außer argumentieren.
Sie sagten anfangs, dass Ihre Mutter vor einem Jahr verstorben ist. Darf ich fragen, was ihr passiert ist?
Meine Mama hatte – ich weiß gar nicht, ob das medizinisch korrekt ist – aber sozusagen ein Gefäßaneurysma. Sie hatte Schmerzen bei der Gartenarbeit. Augenblicke später hatte sie uns schon verlassen.
Wie alt war sie?
49. Das war ein einschneidendes Erlebnis. Es war ein Samstagabend, ich war gerade in Berlin, in Party-Vorbereitungen, als meine Schwester anrief und sagte: Mama ist tot. Ich wusste, das ist kein Scherz. Es war alles sehr, sehr schlimm. Vor allem habe ich unterschätzt, was in der Familie selbst zurückbleibt: dass wir unsere Beziehungen zueinander neu definieren mussten. Ich rede heute anders mit meiner Schwester. Mein Papa und ich haben eine neue Beziehung zueinander.
Wie geht es ihm heute?
Schwer zu sagen, weil er so sehr introvertiert ist. Aber es geht irgendwie voran.
Bis zu seinem Tod Ende letzten Jahres haben Sie das Büro von Peter Hintze geleitet. Sie waren Anfang zwanzig, als er Ihnen diesen Job angeboten hat. Was glauben Sie, warum?
Weil er mir Türen öffnen wollte. Als er mich eingestellt hat, wusste er schon, wie krank er ist. Und ich gehe davon aus, dass sein Büro auch ohne meine Expertise gut ausgekommen wäre. Peter Hintze hat mir etwas zugetraut. Deshalb hat er mir einen Schlüssel geschenkt. Wir waren ein gutes Team.
Ist er in Gedanken noch bei Ihnen?
Ja. Wie nah seine politische Gedankenwelt an meiner ist, habe ich erst im Nachhinein richtig verstanden. Liberal aus protestantischer Ambition. Er hat ja unter anderem politisch für die Sterbehilfe gekämpft. Ich fand menschlich so beeindruckend, wie er dabei seine eigene Begrenztheit akzeptiert hat. Er wusste: Das kommt vielleicht nicht durch, dieses Gesetz, aber ich habe einen Referenzpunkt in der Debatte geliefert. Und das ist meine politische Leistung. Daran nehme ich mir ein Vorbild.
Der dritte Tote Ihres Jahres 2016 war Rupert Neudeck. Neudeck war ein Linker, er hat Cap Anamur gegründet. Wie haben Sie diesen Abschied erlebt?
Überraschend schlimm. Ich habe ja drei komplett verschiedene Tode miterlebt. Ich habe jemand ganz Wichtigen ganz plötzlich verloren, Mama, die niemals meine Kinder kennenlernen wird. Mit Peter Hintze einen Mentor, dessen sich anbahnender Tod eine Tiefe und Milde hervorrief, die auf andere Art sehr traurig gemacht hat. Und dann Rupert Neudeck, der Älteste, der noch Wochen vor seinem Tod lautstark einforderte: Diana, komm mich bald wieder besuchen und zeig mir, wie Facebook funktioniert; ich will da mitmachen. Und dann stirbt der auf einmal. Wenn ich mich mit jedem Tod einzeln auseinandersetze, kann ich jedem einen Sinn zugestehen. Aber es kostet mich viel.
Was macht Ihnen Hoffnung?
Dass Gesellschaft immer diverser wird. Wenn es etwas gibt, das ich mir wirklich wünsche, dann ist das politische Repräsentanz. Weil ich das Gefühl habe, wenn mehr Schwule in der Partei wären, dann wäre Schwulenpolitik anders, wenn mehr Migranten da wären, wäre Migrantenpolitik anders. Das ist dieses berühmte Gedicht von Zoe Leonard, das ich so gut finde: „I want a dyke for president.“ Ich will eine Kampflesbe als Präsident, ich will eine Schwuchtel als Vizepräsident, ich will jemandem im Parlament, der keine Versicherung hat und weiß, wie sich das anfühlt. Wenn jede Betroffenheit repräsentiert wird und Eingang findet in einen Gesamtprozess, dann wird auch alles miteinander vereinbar. Das ist für mich Demokratie.
Haben Sie nicht das Gefühl, dass es sich politisch gerade in die andere Richtung entwickelt?
Ja, und zwar aus einer kurzschließenden Angst heraus. Aber ich weiß aus der Geschichte, dass sich Freiheit immer durchsetzt.
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