CBS VERZÖGERTE FOLTERBERICHT: „EMBEDDED JOURNALISM“ FÜR ZU HAUSE : Feigheit vor dem falschen Feind
Im Umgang mit dem Folterskandal im irakischen Gefängnis Abu Gharib üben sich die US-Medien in Regierungshörigkeit und Beschwichtigung. Bis auf wenige Ausnahmen ist vom berühmten Aufklärungswillen des amerikanischen Journalismus keine Spur zu entdecken. Im Gegenteil: Auch was sie herausfinden, wird manchmal noch zurückgehalten. Wie am Dienstag bekannt wurde, bat US-Generalstabschef Myers den TV-Sender CBS, die Ausstrahlung der brisanten Folterbilder aufgrund der angespannten Lage in Falludscha um zwei Wochen zu verschieben. CBS willigte ein.
Nachdem die Foltergeschichte schließlich in die Öffentlichkeit gelangte, fiel die Presse durch eine zögerliche und vorsichtige Berichterstattung auf. Die New York Times brauchte drei Tage bis zu einem Leitartikel. Und erst am Wochenende war die Affäre allen großen Fernsehsendern die erste Schlagzeile wert. Der Begriff Folter blieb jedoch überwiegend tabu. Während amnesty international und europäische Medien die Vorfälle längst mit diesem Ausdruck kennzeichneten, sprachen US-Sender und -Zeitungen stattdessen von Misshandlung, Demütigung und Erniedrigung. Diese Wortwahl deutet zwar auf unentschuldbare, aber im Krieg nun mal vorkommende Einzelfälle. Folter dagegen deutet auf ein systematisches Vorgehen.
Das schien den US-Journalisten nicht vorstellbar. Die Scheu überrascht – schließlich verdammen Amerikaner die Anwendung von Folter weit weniger als Europäer. In den USA debattieren Experten darüber, ob und inwieweit bestimmte Foltermethoden im Krieg gegen den Terror zulässig seien, wenn es darum gehe, Informationen zu erzwingen, die mögliche Terroranschläge verhindern könnten. Laut Umfragen hält knapp die Hälfte der US-Bevölkerung Folter für ein legitimes Mittel im Antiterrorkampf.
CBS hat mit der verzögerten Berichterstattung den „Embedded Journalism“, die Berichterstattung im Schutz und zum Dienst der eigenen Truppe, auf die Heimatfront übertragen – wohl um sich nicht vorwerfen zu lassen, unpatriotisch zu handeln. Die Zurückhaltung der US-Medien beweist, dass sie immer wieder Feigheit vor dem falschen Feind zeigen. MICHAEL STRECK