Burka-Debatte in Frankreich: Polygamie unterm Niqab
Wer mit verschleierten Frauen in Polygamie lebt, soll das Recht auf die französische Staatsbürgerschaft verlieren. Das fordert der französischen Innenminister.
PARIS taz | Eine 31-jährige Französin, die wegen ihres Niqabs am Steuer bei einer Routinekontrolle von der Polizei angehalten und per Ordnungsbusse verwarnt wurde, protestierte auf einer Pressekonferenz gegen diese ihrer Ansicht nach willkürliche und diskriminierende Interpretation der Straßenverkehrsgesetze. Mit ihren öffentlichen Protesten provozierte sie eine nicht vorgesehene Eskalation. Der Fall weckte das Interesse des Innenmisteriums und wurde genauer untersucht.
Beim Gatten der Gebüßten soll es sich um einen besonders strenggläubigen Algerier handeln, der 1999 eingebürgert wurde. Nun will das Ministerium aber auch in Erfahrung gebracht haben, dass der Betreffende mit vier Frauen in Polygamie lebe, die mit ihm insgesamt zwölf Kinder haben sollen. Alle vier „Gattinnen“ trügen einen Niqab in der Öffentlichkeit, und alle vier beziehen angeblich die für alleinerziehende Mütter vorgesehene Sozialbeihilfe.
Innenminister Brice Hortefeux hat darum die zuständigen lokalen Behörden schriftlich ersucht, nicht nur eventuelle Strafuntersuchungen wegen Polygamie und wegen Betrugs sowie Erschleichen von Sozialleistungen einzuleiten, sondern ebenfalls zu prüfen, ob nicht sogar die Einbürgerung des Ehemanns von 1999 für ungültig erklärt werden könne. Bei Verbrechen oder Vergehen, welche die fundamentalen Interessen Frankreichs berühren, sieht das französische Gesetz dies in bestimmten Fällen vor. Es gibt wenige Präzedenzfälle, allerdings standen diese in einem direkten Kontext zur Terrorismusbekämpfung.
Mit Hortefeux's Initiative verschärft sich die Debatte über ein Burka-Verbot, das die Regierung im Eilverfahren durchsetzen möchte. Eine Abgeordnete der Regierungspartei UMP fordert jetzt eine landesweite Bestandesaufnahme zur Bekämpfung der Polygamie. Für den Sozialisten Fayçal Douhane, Mitglied der PS-Parteiführung, geht diese „Stigmatisierung“ entschieden zu weit: „Die Muslime haben es satt, Woche für Woche bei solchen Polemiken als Punching-ball zu dienen. Man kann nicht so tun, als ob sich die Probleme der Gesellschaft auf einen Fetzen Tuch (den Schleier) reduzieren ließen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative