Buraka Som Sistema: Plagiat aus Prinzip
Dank der eklektischen Dance-Tracks des angolanisch- portugiesischen Buraka Som Sistema manifestiert sich das globale Dorf auf den Tanzböden.
Die Studentinnen haben die Bühne gestürmt. Nun kreisen fünf Hinterteile, während sich afrikanische Rhythmen mit elektronischen Dance-Beats aus europäischen Großraumdiscos vermengen. Wenn das Buraka Som Sistema auftritt, dann manifestiert sich im kochenden Saal das globale Dorf.
Kuduro heißt er, der neueste Dance-Trend aus Afrika, für den das Buraka Som Sistema auf seiner gerade beendeten Deutschlandtournee gefeiert wurde. Wie überall sonst auf der Welt auch: Das Quartett aus Angola und Portugal hat sich und ihrem Genre durch sensationelle Liveshows einen Namen gemacht. Diese neue Subkultur, deren vor allem in Angola anzutreffender Protagonist sich durch Baggy-Hose, grelle Sneakers und blondierte Haare erkennbar macht, reflektiert zudem auch noch die politischen Wirrungen nach 27-jährigem Bürger- und Stellvertreterkrieg. Obendrein passt das portugiesisch-angolanische Phänomen in jeder Hinsicht perfekt in die noch namenlose Musikkultur 2.0, die sich ihre Form gerade zusammenmischt aus allem, was elektronisch ist.
Ihr Album "Black Diamond", mit dem sie 2008 den Durchbruch schafften, das aber erst kürzlich offiziell bei uns erschien, demonstriert das Konzept des Buraka Som Sistema: Die beiden portugiesischen Produzenten DJ Riot und Lil Jon brachten erst dem schicken Teil Lissabons und dann dem Rest der Welt den angolanischen "Sound of Kuduro" näher. Ergänzt wird die Stammbesetzung durch den kubano-angolanischen Rapper Conductor sowie den in Angola geborenen Spoken Word Artist Kalaf. Zuvor hatten die vier in verschiedenen Konstellationen Drum n Bass, Rap oder Elektronikaprojekte betrieben. Auf der Bühne bedienen die beiden Produzenten nun bunte Knöpfe, MacBook und Percussion, während die Rapper dem Publikum einheizen. Unterstützt werden sie von einem Schlagzeuger und der akrobatisch talentierten Rapperin Blaya.
Kuduro kam im Raum Lissabon zuerst in den ärmeren Vororten auf, in denen kapverdische und angolanische Einwanderer lebten. Die Musik war billig aufgenommen, hatte lustige Texte und wurde zuerst nicht ernstgenommen, erzählt DJ Riot: "Mit Kuduro konnten wir etwas machen, das in unserer Stadt lebt und mit dem sich die Menschen identifizieren können."
Buraka Som Sistema ist zu Hause noch nicht einmal der erfolgreichste Act einer brodelnden Kuduro-Kultur in Lissabon. Es kommt nicht mal aus dem berüchtigten Immigrantenviertel Buraca in der Lissaboner Vorstadt Amadora, nachdem die Musiker sich benannten. Dennoch sind sie eher Pioniere als Plagiatoren. Sie wuchsen in einer Vorstadtumgebung auf, in der es cool war, hinter dem Rücken des Lehrers kapverdisches Kriolu zu sprechen und am Wochenende zu Kuduro zu tanzen. Mit ihren Dubstep-, Electro- und Rapanleihen haben sie den Sound zum Tanz schließlich von Vermischungen mit romantischem Kizomba befreit, die sie zum Beispiel dem Kuduro-Veteranen Helder vorwerfen. Das brachiale Tuning der umfangreich geschulten Produzenten machte aus einem von vielen Afrotechnostilen einen weltweiten Cluberfolg. Dass diese Revolution in Lissabon und nicht in Luanda ausgelöst wurde, entspricht der Logik der afrikanischen Diaspora.
Laut Kalaf und DJ Riot bekam die Musik durch den Ausbau der Rapanteile, die simple Shouts ersetzten, mehr Möglichkeiten, eine rebellische Stimmung zu formulieren. Journalistische Interpretationen, ihr Album sei eine wütende politische Abhandlung über Blutdiamanten, wirken dennoch überinterpretiert.
Die Verbreitung der Musikkultur Kuduro, die sich zwischen Luanda und Lissabon noch selber sucht, wird dennoch kaum die Gründung weltweiter Filialen zur Folge haben. Vielmehr geht Kuduro heute in einem Potpourri immer neuer Soundmischungen auf, die im Zeitalter des Internets bunter und schneller als je zuvor entstehen. In Großbritannien verschmelzen Rap, Reggae und House seit den Neunzigern immer wieder neu.
Dabei steht der journalistische Ordnungstrieb, für alles Schubladen zu finden, vor unlösbaren Aufgaben. Durchs Internet ist nicht ausgeschlossen, dass ein deutscher Produzent einen Rapper in Angola findet und echten Kuduro produziert. Aus Berlin kommt bereits ein brasilianischer Baile-Funk-Song mit einem Titel, der so viel wie "große Muschi" heißt. Längst verwenden englische Dubstep-Produzenten Kuduro-Sounds, aber Slang, Kleidung und Raps des Genres werden wohl auf Angola und Portugal beschränkt bleiben.
Eine Einordnung in eine subkulturelle Schublade, so sieht es Buraka Som Sistema, führt nur zu Limitierung. "Wir sind die Letzten, die Genregrenzen verteidigen würden", sagt DJ Riot, "wir sehen uns nicht mal als Kuduro-Projekt. Die Beatstruktur haben wir genommen, weil sie der Welt noch gefehlt hat. Jetzt fügen wir in diese Matrix alles ein, was wir finden. Die einzigen Einordnungen, die es heute noch gibt, sind Beats-per-Minute-Zahlen. Kuduro hat 135 bis 140 bpm, Dubstep 140, Bassline und Fidget 135. Wir mischen alles, ohne über Namen und Regeln nachzudenken. Wenn du in deinen Sets zwischen Baile Funk und Baltimore wechselst, sind unsere Songs immer ein guter Kleber."
Buraka Som Sistema ist so nicht nur ein Kuduro-Aushängeschild, wie Kalaf sagt, sondern vor allem Teil einer Musikkultur 2.0. Das Quartett fühlt sich mehr in der Genrelosigkeit zu Hause als im Kuduro. Die identitätsstiftenden Eigenschaften einer herkömmlichen Subkultur wird der Trend eh kaum entwickeln können. Aber dass er allein auf naiv tanzende Clubgänger beschränkt bleibt, glauben DJ Riot und Kalaf trotz fehlender Platinverkäufe und TV-Präsenz trotzdem nicht. "TV? Who cares?", meint Kalaf. Und da niemand mehr für Musik zahle, wären Verkäufe ohnehin das falscheste Messinstrument für eine neue Idee wie die von Buraka Som Sistema.
Buraka Som Sistema: "Black Diamond" (PIAS/Rough Trade)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“