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Bundesweite Uni-BesetzungenStille Signale, lauter Protest

Vor Beginn der bundesweiten Unistreiks haben Studierende begonnen, Hörsäle zu besetzen und für bessere Studienbedingungen zu demonstrieren.

Besetzter Hörsaal an der Rheinisch-Westfälisch Technischen Hochschule Aachen. Bild: dpa

Um 14.15 an diesem Donnerstag haben es die beiden Studenten endlich geschafft. Nach zwei vergeblichen Versuchen ziehen sie das knallgelbe Transparent die Wand des Audimax hoch, bis es schließlich über den Köpfen der etwa 500 Kommilitonen an die Empore gebunden wird. "Geld für Bildung statt für Banken!". Applaus brandet auf: Das Audimax der Humboldt-Universität in Berlin ist von Studierenden besetzt.

Der Bildungsstreik 2009 geht in seine zweite Runde. Nicht wenige vermuten, dass er länger dauern wird als der erste Anlauf im Frühsommer. In vielen deutschen Universitäten war in dieser Woche schon vor dem offiziellen Protestbeginn am kommenden Dienstag eine erstaunliche Entwicklung beobachtbar: Bereits am Dienstag waren in rund zehn Universitäten von Tübingen bis Marburg Räume besetzt - bis Donnerstag hatte sich die Zahl innerhalb von zwei Tagen bereits verdoppelt, am Freitag war bereits von 50 besetzten Universitäten die Rede. Täglich kommen neue Hochschulen hinzu, auch renommierte Universitäten wie die LMU in München und die Berliner Hochschulen sind dabei.

Zwar entscheiden alle Universitäten unabhängig voneinander über Forderungen, inhaltlich ähneln sie sich aber: Die Qualität von Lehre und Lernbedingungen soll verbessert werden, das Studium selbstbestimmter organisiert werden. Die Studenten wollen mehr Geld für Bildung und eine Demokratisierung des Studiums.

Über allem aber steht die Forderung nach einer Reform der vor wenigen Jahren eingeführten Bachelor und Master-Studiengänge. Die zeitlich eng abgesteckten Stundenpläne mit fast durchgehender Anwesenheitspflicht, die schwindenden Möglichkeiten ein Auslandssemester einzuschieben - all dies kritisieren die Studierenden. Vor allem aber der schwierige Übergang vom Bachelor zum Master ist ein Problem.

"Um einen Master-Studienplatz zu bekommen, brauche ich einen Notenschnitt von 1,3", sagt die Kulturwissenschaftsstudentin Elena Schoubye, "das ist für mich und viele andere nicht erreichbar". Gerade in großen Städten sei das Problem wegen der hohen Beliebtheit der Studienplätze in den letzten Jahren fächerübergreifend größer geworden. "In Berlin kann fast niemand mehr mit einem Abi-Schnitt über 2,0 studieren", sagt Schoubye.

Motiviert zu den Besetzungen wurden die Studierenden durch die seit Wochen andauernden Massenproteste in Österreich. In Wien hatten Ende Oktober den größten Hörsaal der Universität besetzt, In ihren Pressemitteilungen sprechen die Studierenden von einem "internationalen Zusammenhang", der durch die Wiener Initiative hergestellt sei, als Ansprechpartner werden Kontakte zu Österreichischen Studenten vermittelt. In der Berliner Humboldt-Universität bekommt ein österreichischer Komilitone donnernden Applaus, als er die Studierenden mobilisiert, man solle "einen Flächenbrand" wie in seiner Heimat entfachen.

Unterstützung erhalten die Protestierenden in Deutschland mittlerweile von verschiedenen Stellen. Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz Margret Wintermantel sagte, es sei "wichtig, sich zu Wort zu melden", die Gewerkschaften GEW und Verdi solidarisierten sich mit den Streikenden und selbst Bildungsministerin Schavan forderte die Länder nun auf, man solle die Hochschulreform rasch umsetzen. Die SPD-Bildungspolitikerin Ulla Burchardt sagte der taz, die Studentenproteste seien "klug", denn durch die geplanten Steuersenkungen "werden die Länder um die Möglichkeit gebracht, die Bildung zu verbessern".

Viel Sympathie also - doch wie geht es bei den Protesten weiter? "Es gibt zwei Möglichkeiten", sagt der Sozialwissenschaftler Dieter Rucht der vom Wissenschaftszentrum Berlin der taz: "Entweder, die Studenten demonstrieren ein paar Tage, bekommen von der Politik Recht und am Ende passiert wieder nichts", sagt Rucht, "oder der kritische Punkt ist erreicht und die Proteste bekommen eine neue, militantere Qualität".

Welche der Optionen es am Ende wird, könne er nicht sagen. Jedoch spürten nach seiner Beobachtung viele Studierende, dass man sich bisher leise hinter Banken und Konzerne anstellen musste. Deshalb, sagt Rucht, "würde ich mich nicht wundern, wenn die Proteste heftiger werden".

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7 Kommentare

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  • D
    Dolph

    "Entweder, die Studenten demonstrieren ein paar Tage, bekommen von der Politik Recht und am Ende passiert wieder nichts"

     

    So wird es kommen, wie immer in den letzten 12 Jahren. Am Ende wollen sie dann doch wieder dem eigenen Vorteil nachlaufen. Das ganze ist kein Protest, sondern nur eine Karikatur davon, eine Pose.

  • G
    Georg

    Modul-Bologna ist extremer geistiger Blödsinn. Die verantwortlichen und

    handlungsarmen Bildungspolitiker sollte man hinsichtlich ihrer geistigen

    Zurechnungsfähigkeit untersuchen lassen. Hier die Perspektive für das arme

    Bachelor-Prekariat, "Nach dem Bachelor zum Baumarkt an die Kasse" -

    http://www.morgenpost.de/berlin/article1207384/Nach-dem-Bachelor-zum-Baumarkt-an

    -die-Kasse.html

  • P
    Paul

    "Vor Beginn der bundesweiten Unistreiks haben Studierende begonnen, Hörsäle zu besetzen und für bessere Studienbedingungen zu demonstrieren."

    Allein der Untertitel des Artikels ist ein Hohn, liebe taz.

    Es verhält sich ebenso wie bei den letzten Bildungsstreiks im November. Während die Schülerinnen und Schüler deutlich die Masse des Protests bilden, berichten die Zeitungen vornehmlich von den Studierendenprotesten.

    Bundesweite Schulstreiks sind seit Mai/Juni 2008 angelaufen, nachdem sie dann im November weit mehr Zulauf bekammen haben haben sich die Studierenden solidarisiert und gemeinsam mit SchülerInnen die bundesweite Bildungsstreikwoche initiert.

    Die Presse scheint zu ignorieren, dass der Protest sowohl aus der SchülerInnenbewegung kommt, als auch von ihr getragen wird. Für sie ist der Bildungsstreik ein Unistreik.

    Das ist nichts Ungewöhnliches, denn Studentenproteste sind in der Öffentlichkeit weit mehr etabliert und geduldet. Schulstreiks sind in der Öffentlichkeit weniger beliebt, werden eher belächelt. Hier wird die herrschende Sichtweise erneut reproduziert. SchülerInnen sind jung und unmündig, Studierende dürfen ein bisschen meckern.

    Es ist klar, dass mit den zahlreichen Uni-Besetzungen der Fokus der Bildungsproteste hier zunächst auf sie gerichtet wird. Das ist auch vollkommen legitim.

    Die Besetzungen sind allerdings quasi die ersten mobilisierenden Vorbereitungen der Studierenden auf den Bildungsstreik am 17.11 und diese standen ursprünglich nicht einmal in Zusammenhang mit dem Bildungsstreik. Über die anlaufenden Mobilisierungs- und Protestaktionen der SchülerInnen wird hingegen kaum berichtet.

    Das Interessannteste aber ist, dass die Studierenden das Presseecho ähnlich wahrnehmen wie die SchülerInnen. Es gibt ein krasses Ungleichgewicht zwischen der realen Präsenz der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppen bei den Streiks und der entsprechenden Presseresonanz. Alle Beteiligten wollen die Proteste auf möglichst viele gesellschaftliche Gruppen ausweiten und solidarisch miteinander streiken. Zwar ist klar, dass die SchülerInnen auch dieses mal weit mehr als die Hälfte der Protestierenden ausmachen werden, dass heißt aber nicht das sie sich deshalb in den Vordergrund drängen werden.

    Wenn Zeitungen wie die taz dagegen die Proteste einseitig auf die Studierenden abwälzen, dann schadet das der Bewegung. So entsteht Zweitracht und die SchülerInnen fühlen sich berechtigter Weise nicht beachtet.

    Die taz zeigt damit einmal mehr, dass sie nur augenscheinlich progressiven Journalismus betreibt. Vielmehr geht es meist um intellektuelle Selbstbeweihräucherung.

  • MG
    Martin G.

    Die Zyklen zwischen den Streiks der Studenten werden immer kürzer und nie kam für sie eine Verbesserung herraus.

    Ich streikte 1998 und Anfangs diese Jahrtaussends und danach war mir klar das kein Studentenstreik, so orignel oder kreativ er sein mag, etwas bewirkt. Bei mir gingen 4 Jahre ins Land, ich war fast fertig mit den Studium und schon auf das kommende im Leben ausgerichet, bis die Erkenntnis reifte wie man einmalig gewaltfrei als streikende Studentenschaft seine Forderungen so durchsetzen kann dass der Staat zuhören und nachgeben müsste. Die Alternative des Staates (zu den Streik) dazu wäre das Bilder in den Medien wären die jede demokratische Regierung stürzen müsste.

    Zu dieser Art von Streik fehlt aber den Studenten der Verstand, der Wille und das Durchsetzungvermögen. Lieber betreibt man Nabelschau und bestreikt da wo es keinen Schmerzt nämlich in oder um die Hochschulen oder vor den entsprechenden Ministerien.

    Auch eine Radikalisierung der Studenten, wird nichts bringen und zu befürchten das ein Teil der Studenten vielleicht solch wege Beschreiben will wie die der RAF. Was dumm, verachtenswert und für die Probleme der Studierenden keine Besserung sondern eher Ablehnung in der Öffentlchkeit erzeugen würde.

     

    Gruß

     

    Martin G.

  • A
    avelon

    Amerikanisierung a go go...

  • P
    pat

    2. Bundesweiter Bildungsstreik - Landesweite Demonstration „education is not for sale!“ am 17.11.2009 in Wiesbaden, 11 Uhr Hauptbahnhof

     

    Die Verhältnisse an allen Bildungseinrichtungen werden durch die derzeitige Bildungspolitik immer weiter verschlimmert und sind so nicht länger hinzunehmen. An den Hochschulen machen die Verschulung durch Einführung der starren sowie fremdbestimmten Bachelor- und Masterstudiengänge, damit institutionalisierter Zeitmangel, schlecht ausgestattete Infrastruktur, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und der finanzielle Druck durch bestehende bzw. überall immer wieder drohende Studiengebühren ein freies, selbstbestimmtes Lernen und Leben für Studierende, Lehrende und Angestellte unmöglich.

     

    Viel zu große Klassen, zu wenig und teils nicht pädagogisch ausgebildetes Lehrpersonal, steigender Leistungsdruck, soziale Selektion und fehlende Entfaltungsmöglichkeiten machen zudem die Schule zu einer unbeliebten Institution, die sich massiv auf die Psyche und den Lebensstandard der Schüler_innen auswirkt. Freien Zugang zu Bildung gibt es kaum, an der Schule wird bereits nach der 4. Klasse selektiert und eine Ausbildungsplatzgarantie fehlt vollständig.

     

    Um diese nicht hinnehmbaren Missverhältnisse im ganzen Bildungssystem zu verbessern, demonstrierten bereits im Juni 2009 bundesweit mehr als 270.000 Schüler_innen, Studierende, Auszubildende und weitere von der Bildungsmisere Betroffene gemeinsam.

     

    Einige Monate sind seitdem in Deutschland vergangen, geändert hat sich jedoch nichts. Eine neue Koaltion glaubt mit der Vergabe von Stipendien oder der Deklarierung von Kindergeld als Bildungsausgaben etwas für die Bildung zu tun. Das Motto ist jedoch wieder Elitenförderung statt Bildung für alle. Die Kultusminister_innen haben zwar erkannt, dass der Bologna-Prozess auf viel Ablehnung stößt, haben aber wieder nur schwammige Versprechen und vertröstende Ausreden zur Hand.

     

    Seit über einer Woche haben Studierende in Deutschland begonnen, zentrale Hörsäle in Hochschulen wie Potsdam, Münster, Heidelberg, Marburg, München, Paderborn, Darmstadt, Mönchen-Gladbach, Greifswald, Dresden, Osnabrück, Berlin und Tübingen zu besetzen. (Infos und Organisation auf unsereunis.de) Weitere Besetzungen sind geplant und passieren täglich. Schon davor wurden in ganz Österreich Universitäten besetzt, allen voran das AudiMax in Wien. Die diversen Bildungsstreikbewegungen solidarisieren und internationalisieren sich somit zusehends.

     

    Um sich diesen internationalen Demokratisierungsprozessen anzuschließen und den jeweiligen Forderungen Nachdruck zu verleihen, fordern wir zusammen: Bildung muss selbstbestimmt, demokratisch und für alle frei zugänglich sein, und zwar auf allen Ebenen des Bildungssystems! Landesweit, Bundesweit und Weltweit!

     

    Konkreter fordern wir:

     

    • selbstbestimmtes Lernen und Leben statt starrem Zeitrahmen, Leistungsdruck und Konkurrenzdruck

    • freier Bildungszugang und Abschaffung von sämtlichen Bildungsgebühren wie Studiengebühren, Ausbildungsgebühren und Kita-Gebühren

    • öffentliche Finanzierung des Bildungssystems ohne Einflussnahme der Wirtschaft unter anderem auf Lehrinhalte, Studienstrukturen und Stellenvergabe

    • Demokratisierung und Stärkung der Mit- und Selbstverwaltung in allen Bildungseinrichtungen, unter anderem durch die gleichberechtigte Besetzung aller Entscheidungsgremien durch die Statusgruppen in allen Bildungseinrichtungen.

     

    Wir rufen daher Studierende, Schüler_innen, Lehrer_innen, Dozent_innen Erzieher_innen, Professor_innen, Auszubildende, Eltern und andere von der Bildungsmisere Betroffene auf, am 17.11. gemeinsam mit Menschen in ganz Deutschland auf die Straße zu gehen und für die Umsetzung dieser Forderungen zu demonstrieren.

    Kommt am Dienstag, den 17.11. um 11 Uhr zum Hauptbahnhof Wiesbaden und protestiert kreativ mit bzw. informiert euch über Aktionen vor Ort durch die Bildungsstreik-Internetseiten! (siehe Links unten)

     

    Zusätzlich bzw. alternativ besteht an dem Tag lokal die Möglichkeit, den Bildungsstreik durch die Unterstützung des Frankfurter Sternmarsches der Schüler_innen schon früher und intensiver beginnen zu lassen. Nähere Infos gibts auf der Seite des Jugendbündnisses ( http://www.jugendbuendnis-ffm.de ), auf dem sich auch eine wunderschöne Demo-Routenkarte finden lässt.

     

    Schlussendlich möchte dieses digitale Flugblatt weiterverbreitet werden. Sagt also euren Freund_innen, Kommoliton_innen, Mitschüler_innen, anderen Aktiven und Betroffenen Bescheid, verteilt den Aufruf in Verteilern, in sozialen Netzwerken, auf den Streikseiten, den Straßen und klebt ihn an alle Wände.

     

    gezeichnet:

     

    - Die dezentrale Klebestelle für digitale Plakate und Flugblätter zum Bildungstreik 2009_Hoch2 Plus X

     

    _______________________

     

    Termine:

     

    - 17. November 2009: Dezentrale, bundesweite Bildungsstreik-Demonstrationen

     

    für Hessen gilt an diesem Tag zentral: Wiesbaden, 11 Uhr Hauptbahnhof

    und in allen Städten, wo sich spontan etwas bildet und ausgerufen wird (es liegt an euch...)

     

    - ab sofort: bunte Bildungsstreik-Aktionswochen mit bundesweiten und internationalen Besetzungen

     

    _______________________

     

    Links:

     

    http://www.asta.uni-frankfurt.de/aktuell/_node/show/3023775.html

    http://www.unsereunis.de/

    http://www.jugendbuendnis-ffm.de/1.html

    http://www.schulaction.org/

    http://www.bildungsstreik.net/

    http://unsereuni.at/

    http://www.uebergebuehr.de/

    http://emancipating-education-for-all.org/

  • SS
    Stefan Simon

    Ich hoffe, dass die Proteste diesmal länger anhalten und das nicht nur in den Unis protestiert wird, sondern dass Schüler und Studenten wieder geschlossen auf den Strassen protestieren. Ich bin noch Schüler und werde vorraussichtlich meine Fachhochschulreife erfolgreich abschliessen. Damit zu studieren ist ein großes Hindernis. Nur in meiner Heimat Hessen kann ich an den Unis Gießen und Marburg studieren. Auf allen FHs wird beinahe das selbe angeboten und das nicht gerade mit einer enormen Füllmenge. Die Uni Frankfurt lehnt alle Fachabiturienten rigoros ab! Wohl bemerkt, dass die beiden besagten Unis die einzigen in Deutschland sind. So kann Bildung in Deutschland nicht funktionieren!!!!