Bundesweite Razzia der Finanzbehörden: Die große Zasterfahndung
Bundesweit jagen Beamte Steuersünder. Die Politik kritisiert die Einkommenseliten und die Debatte über die Verwertbarkeit der BND-Infos ist in vollem Gange.
BOCHUM taz Kommissar Steinbrück hat nicht geblufft. Die Steuerfahnder der Finanzbehörden schwärmten am Montagmorgen aus, um verdächtigen Steuersündern auf die Spur zu kommen. Staatsanwälte und Polizisten durchsuchten im ganzen Bundesgebiet von Hamburg über Köln bis München Wohnhäuser und Geschäftsräume.
Damit begann eine der größten Fahndungsaktionen nach Wirtschaftskriminellen in der Bundesrepublik. Insgesamt 900 Durchsuchungsbefehle seien ausgestellt worden. "Dieser Staat ist wehrhaft, und er wehrt sich", sagt der Sprecher von Bundesfinanzminister Steinbrück - und verteidigt so, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) durch einen Kauf gestohlener Unterlagen die Aktion ausgelöst hatte.
Während die Fahnder Kartons aus den Häusern Verdächtiger trugen, beginnt in der Politik eine muntere Debatte über die Verkommenheit der Einkommenseliten. "Leute, die sich selbst für die Elite halten, schleusen Riesensummen vorbei am Fiskus, schimpft der schleswig-holsteinische SPD-Chef Ralf Stegner. Der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Jürgen Rüttgers (CDU), beklagt, dass die unmoralische Haltung gesellschaftlicher Spitzenvertreter die Demokratie gefährde. Finanzminister Steinbrück rät indessen, um die Steuermoral zu heben, den Betroffenen zur Selbstanzeige.
Den Fahndern stoßen solche Äußerungen bitter auf. Oberstaatsanwalt Ulrich Krück sitzt im seinem Büro im elften Stock des Bochumer Justizgebäudes am Westring. Er sorgt sich um das Image seiner Behörde - und den Erfolg. Die Idee mit den Selbstanzeigen, ärgert sich Krück, bringt dem Staat easy money - und den Beschuldigten Freiheit von Strafverfolgung. "Ich halte die Selbstanzeige generell für ein kontraproduktives Instrument", sagt der Staatsanwalt.
Die Prominenz der Steuerfahndung scheint manchen in Panik zu versetzen. "Es rappelt jetzt mit Selbstanzeigen", sagte ein Strafverfolger dem Handelsblatt. Die Anwälte der Betroffenen legten offenbar Sonderschichten ein. "Heute war noch ein ruhiger Tag in Berlin", sagte hingegen der Leiter der Berliner Steuerfahndung, Wolfgang Lübke. "Es sollen alle noch einmal Zeit haben, ihre Selbstanzeige abzugeben."
In der auf Wirtschaftskriminalität spezialisierten Bochumer Staatsanwaltschaft klingeln unterdessen drei Telefone gleichzeitig. "So geht das die ganze Zeit", klagt Oberstaatsanwalt und Sprecher der Behörde, Bernd Bienioßek. Er bedauert die "Hysterie" der Medien. "Ist das noch rechtsstaatlich, wenn ein Beschuldigter medial geschlachtet wird?", fragt er. Der Schock über die Presse, die am Donnerstag, offensichtlich vorab informiert, schon vor dem Zugriff der Staatsanwaltschaft vor Zumwinkels Haus Stellung bezogen hatte, ist ihm anzumerken. "Das gefährdet das Vertrauen in ein faires Vorgehen der Staatsanwaltschaft."
"Zeitungen schreiben unter Berufung auf uns, heute sei der Dies Irae, der Tag des Zorns", sagt sein Kollege Ulrich Krück. "Als ob wir Rächer wären! Wir führen ein Ermittlungsverfahren, mehr nicht."
In der Politik denkt man auch darüber nach, wie man der Moral wieder zu ihrem Recht verhelfen kann. "Es kann sein, dass wir auch Gesetze ändern und verschärfen müssen", sagte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Der finanzpolitische Sprecher der SPD, Joachim Poß, predigt hingegen Gelassenheit. "Gier an sich ist nicht kriminell." Den Koalitionspartner aber, die Union, kritisiert der Finanzexperte scharf. Die Union habe sich bei mehreren Gesetzesvorhaben der SPD in der Vergangenheit als "Schutzpatron der Steuerhinterzieher" betätigt: "Nicht nur die hessische CDU kennt sich mit Stiftungen ja bestens aus."
Den Ermittlern hilft das wenig. Der sonst entspannt wirkende Ermittler Bernd Bienioßek ist aufgeregt: Er fürchtet um den Ermittlungserfolg seines Verfahrens. Die Forderungen der Politik hätten einen immensen Druck auf die Ermittler ausgeübt. "Wir haben nicht eine, wir haben mehrere undichte Stellen", sagt Bienioßek. Er und seine Kollege Krück haben nicht viel Hoffnung, die Lecks in ihren Reihen zu finden. Mindestens 40 Beamte aus Staatsanwaltschaft, Steuerbehörden und Polizei seien detailliert informiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku