Bundeswehrsoldaten in die Türkei: Muskelspiel als Politik-Ersatz
■ Während auf dem Luftwaffenstützpunkt Oldenburg die Vorbereitungen für die Entsendung eines Geschwaders in die Türkei auf Hochtouren laufen, werfen Grüne und SPD der Bundesregierung vor, sie mache sich mitschuldig an der Verschärfung der Kriegsgefahr am Golf und habe in dieser brisanten Angelegenheit am Parlament vorbei entschieden.
Die Stellvertretende SPD- Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin hat gestern ihre Parteifreunde Heidi Wiezcorek-Zeul, Hermann Scheer und Ludwig Stiegler zurückgepfiffen. Sie hatten gefordert, über das Entsenden von Bundeswehreinheiten in die Türkei als Teil einer Nato-Eingreiftruppe müsse der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit abstimmen. Stiegler hatte sogar angekündigt, die SPD wolle unter Umständen beim Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordung gegen den Regierungsbeschluß beantragen. Däubler- Gmelin sagte dagegen, Verfassungsfragen seien jetzt nebensächlich. Ihre Partei fordere die Regierung auf politischem Wege auf, „aktive Signale“ gegen einen Krieg zu setzen. Eine Entsendung an den Golf lehne die SPD nach wie vor strikt ab.
Auch der SPD-Vorsitzende Hans- Jochen Vogel meldete sich gestern zu Wort: Die Zustimmung der Bundesregierung zum Entsenden einer mobilen Einsatzeinheit der Nato in die Türkei sei eine „politische Fehlentscheidung“. Aufgrund der „Tragweite dieser Entscheidung“ wäre es „aus politischen Gründen geboten gewesen“, vorher die Willensbildung des Bundestages herbeizuführen. Er warnte davor, „den Bundestag und damit unser Volk“ durch eine Zustimmung zum militärischen Einsatz deutscher Streitkräfte „vor vollendete Tatsachen zu stellen“. Vogel unterscheidet demnach im Gegensatz zu Wiezcorek und Scheer deutlich zwischen dem Entsenden und dem Einsatz der Truppen.
Auch Karsten Voigt, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, stimmt in den Chor der Beschwichtiger ein. „Jenseits rechtlicher Überlegungen“ müsse die Bundesregierung „politisch kritisiert werden“. Dem FDP-Verteidigungsexperten Werner Hoyer erteilte Voigt jedoch eine klare Abfuhr. Hoyer hatte vorgeschlagen, „um Irritationen bei der SPD zu vermeiden“, solle die Bundesregierung die SPD-Führung „in die weiteren Beratungen“ miteinbeziehen. Dazu Voigt: „Die SPD wird sich nicht zum Komplizen einer falschen Entscheidung machen lassen.“ „Nachträglich“ das Einbeziehen der Opposition zu fordern, sei eine schlichte „Provokation“.
Voigt lehnt das Entsenden der Bundeswehrsoldaten in die Türkei ab, da es „keinen Konflikt zwischen Irak und einem Nato-Land“ gebe, sondern „zwischen Irak und den Vereinten Nationen“. Grundsätzlich sei es jetzt ein „falsches Signal“, Nato- Einheiten in die Türkei zu schicken, weil damit der Irak den Konflikt „als einen zwischen Bagdad und der westlichen Welt“ darstellen könne. Auch die Versuche der EG, auf einem Sondergipfel am Freitag einer friedliche Lösung der Golfkrise näher zu kommen, würden damit gestört.
Heidi Wiezcorek-Zeul und Hermann Scheer bleiben trotz der Kritik ihrer Parteifreunde dabei, daß die Regierung laut Grundgesetz Bundeswehrsoldaten nicht ohne Abstimmung im Bundestag dem Nato-Kommando unterstellen darf. Sie fordern ihre Partei nach wie vor auf, „alle verfassungspolitischen Mittel gegen einen Golfkrieg“ auszuschöpfen. Auf keinen Fall dürfe die Bundesregierung jetzt den aktiven Einsatz deutscher Streitkräfte bei möglichen Kampfhandlungen erlauben, bevor der Bundestag nicht mit Zweidrittelmehrheit zugestimmt habe (siehe Kasten). Auch die Mehrheit der Deutschen ist nach einer Infratest-Umfrage dieser Meinung: 75 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, daß sich das vereinte Deutschland künftig aus internationalen Konflikten heraushalten soll. Tina Stadlmayer, Bonn
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