Bundeswehr in Afghanistan: Es darf geschossen werden

Sind die Einsatzregeln für Bundeswehrsoldaten zu eng gefasst? Kaum, sagen Grüne und auch CDU-Leute. Jeder Waffengebrauch müsse verhältnismäßig sein.

Schießen? Oder abwarten? Oder erst auf der Taschenkarte nachlesen, was zu tun ist? Bundeswehrsoldat in Kundus. Bild: ap

Dürfen deutsche Soldaten in Afghanistan schnell genug schießen? Kostet die "Taschenkarte" womöglich Leben? Die öffentliche Diskussion um die kleine Broschüre mit Regeln für den Schusswaffengebrauch legte in den vergangenen Tagen nahe, dass die Situation im nordafghanischen Kundus auch deshalb eskaliert, weil die Bundeswehr dank bürokratischer Vorschriften überhaupt nicht richtig kämpfen darf. Das Verteidigungsministerium hat angekündigt, die Karte, die jeder Soldat bei sich führen muss, zu überprüfen.

Vorvergangenen Dienstag starben drei Bundeswehr-Soldaten südwestlich von Kundus, nachdem ihr "Fuchs"-Panzer in einen Wassergraben gerutscht war. Die Zahl der in Afghanistan getöteten und verunglückten deutschen Soldaten stieg damit auf 35. Das Leben der jungen Männer wäre auch nicht zu retten gewesen, wenn es eine andere Taschenkarte gegeben hätte, erklärt der Präsident des Reservistenverbands und Bundestagsabgeordnete Ernst-Reinhard Beck (CDU). Doch "trägt die aktuelle Taschenkarte schon länger eher zur Verunsicherung der Soldaten bei". Sie solle die Einsatzregeln "ja nicht für ein Juristengremium, sondern für die Soldaten formulieren".

Da die Bundeswehr in Nordafghanistan zunehmend in Gefechte verwickelt werde, wirke die Taschenkarte realitätsfern. Etwa die Anweisung, den Schusswaffengebrauch zunächst auf Englisch, Paschto oder Dari anzudrohen ("Dreesch, darr rait on fair mekunam!") klinge angesichts der Reichweite eines Mörsergeschützes "etwas lustig", sagt Beck. "Da verstehe ich schon, dass die Soldaten sich auf den Arm genommen fühlen."

Genau wie Beck und die Mehrheit der Verteidigungspolitiker im Bundestag meint der Grüne Winfried Nachtwei, dass der Text der Taschenkarte angepasst werden müsse, wenn er die Soldaten verunsichere. "Die Grundlinie muss aber erhalten bleiben", sagt Nachtwei: Jeder Waffengebrauch habe verhältnismäßig zu sein. Auch Beck sagt: "Der Grundansatz des zurückhaltenden Waffengebrauchs hat sich als Erfolgsmodell erwiesen."

Der oberste Soldat des Landes, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan, kündigte am Mittwoch im Verteidigungsausschuss des Bundestags eine Überarbeitung der Taschenkarte an. Laut Auskunft von Sitzungsteilnehmern sei neben der verbal oft schwer umsetzbaren Drohung "Halt, oder ich schieße" vor allem die Frage des "Nachsetzens" problematisiert worden: Darf ein Soldat auf einen flüchtenden oder sich zurückziehenden Gegner schießen? Laut Taschenkarte ist "der Schusswaffengebrauch gegen flüchtende Personen, die erkennbar von ihrem Angriff abgelassen haben, verboten".

Das heißt nach Auskunft aus Bundeswehrkreisen aber nicht, dass auf einen Taliban oder Aufständischen, der eben noch angegriffen hat und nun seinen Kopf zur Seite wendet, nicht mehr geschossen werden dürfe. Es sei ebenfalls klar, dass ein Angriff, der unmittelbar bevorstehe, durch militärische Gewalt verhindert werden dürfe.

Die Taschenkarte beschränkt den Schusswaffengebrauch mitnichten nur auf Selbstverteidigung oder Nothilfe. Zur "Auftragserfüllung" ist der "Einsatz tödlicher Waffen" durchaus angezeigt. Nur wird die "Auftragserfüllung" eben vor Ort unterschiedlich interpretiert. Es gibt aber bislang keinen Fall, in dem einem Soldaten in Deutschland ein Prozess gemacht wurde, weil er nicht Taschenkarten-gemäß geschossen hat.

Schneiderhan wurde aus dem Ausschuss denn auch damit zitiert, dass er die Soldaten aus der "Grauzone" nicht entlassen könne, in der selbst abgewogen werden müsse. In jedem Fall sei "höllisch" aufzupassen, Zivilopfer zu vermeiden.

Eine Gruppe Turbanträger mit Kalaschnikows auf Motorrädern kann ein Angriff sein - oder ein paar typische Afghanen auf dem Weg zum Ziegenhüten.

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