Bundestag zum Syrienkrieg: Regierung in der Kritik

In einer aktuellen Stunde diskutiert das Parlament über Syrien. Verurteilt die Regierung den türkischen Einmarsch als völkerrechtswidrig?

Sevim Dagdelen (Die Linke) spricht bei der aktuellen Stunde in der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages.

„Sie sollten aufhören, Kaffee zu trinken“ – Sevim Dagdelen geht den Außenminister an Foto: dpa

BERLIN taz | Seit vergangener Woche läuft die türkische Militäroffensive in Syrien. Die Türkei will dort die Kurdenmiliz YPG bekämpfen und eine „Sicherheitszone“ einrichten, Präsident Recep Tayyip Erdoğan betrachtet die YPG als Ableger der in der Türkei verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK. In der umkämpften Region sterben die Menschen; 200.000 sind auf der Flucht, selbst Ärzte ohne Grenzen hat seine HelferInnen abgezogen. Auf internationaler Ebene laufen die Drähte heiß.

Und in Deutschland? Am Mittwochnachmittag findet im Bundestag auf Antrag der Linken eine Aktuelle Stunde statt. Die Fraktion verlangt von der Bundesregierung, den Einmarsch der Türkei in Syrien als völkerrechtswidrig zu verurteilen.

Die Debatte wird vor arg gelichteten Reihen von der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen eröffnet. Dagdelen dankt den Kurdinnen und Kurden im Kampfgebiet und beschuldigt Präsident Erdoğan „furchtbarer Kriegsverbrechen“. Die Bundesregierung, kritisiert sie, verurteile den Einmarsch in die Kurdenregion scharf, gebe aber Anweisungen auf europäischer Ebene, ein Waffenembargo gegen die Türkei zu verhindern.

„Sie sollten aufhören, Kaffee zu trinken“, geht sie Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) direkt an. Die Vereinbarung der Kurden gegen Syrien sei einzig geschlossen worden, um weitere Massaker an der Zivilbevölkerung zu verhindern. Dass Menschen sterben, sei die Verantwortung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Diese unterstütze Mörderbanden mit Waffenexporten.

Da ist das Wort

Johann Wadephul von der CDU spricht in seiner Entgegnung von „kleiner innenpolitischer Münze“. Die Unionsfraktion habe sich schon zuvor, etwa beim Genozid an den Armeniern, klar und deutlich gegenüber Präsident Erdoğan geäußert. Die Kanzlerin habe sich mit Frankreichs Präsident Macron auf eine gemeinsame Haltung geeinigt. Für seine Fraktion sagt Wadepuhl: „Es gibt keine völkerrechtliche Rechtfertigung für diese Aktion an den Kurden durch die Türkei.“ Der Angriff sei „völkerrechtswidrig“. Damit ist das von der Fraktion der Linken eingeforderte Wort gefallen.

Wadephul nutzt das Podium und kritisiert in klaren Worten US-Prsäident Trumps Twitter-Politik als „zynisch und unwürdig“. Er appelliert an die US-amerikanischen ParlamentarierInnen, „gemeinsam Politik zu formulieren und auch durchzuführen“. An die Türkei gerichtet fragt er: „Quo Vadis? Man kann nicht Handelspartner sein und gleichzeitig Menschenrechte mit Füßen treten.“

Rüdiger Lucassen für die AfD spricht von einem „türkischen Feldzug in Syrien“, der die „Verzwergung der deutschen Außenpolitik“ offenbare. Er warnt vor „Merkels Flüchtlingen“ und kritisiert die deutsche Rüstungsexportpolitik als „Heuchelei“. Die Nato sei im Begriff, zu zerfallen und die Integration der Türken in Deutschland „eine Illusion“.

Es ist die altbekannte rechtspopulistische Mischung aus Ressentiment und Abwertung bei gleichzeitiger Selbstviktimisierung. Vizepräsidentin Petra Pau weist den AfD-Mann nach dessen Einlassungen darauf hin, die Menschen aus der Türkei, die hier lebten, dürften nicht in Haftung genommen werden für die Politik der Regierung in Ankara.

Hoffen auf politische Lösung

Der Staatsminister im Außenministerium Niels Annen (SPD) bedankt sich für Paus Worte und kommt wieder zurück zum Thema der Aktuellen Stunde: dem Sterben im syrisch-türkischen Grenzgebiet. Er zeigt sich besorgt über die zunehmende Destabilisierung der Region durch die Militäroffensive der Türkei und den vorangegangenen Abzug der US-Truppen. Eine Erstarkung des IS bedrohe auch die Sicherheit in Deutschland und Europa, das erfülle die Bundesregierung mit großer Sorge. Die Militärintervention sei nicht durch berechtigte Interessen der Türkei zu rechtfertigen. Er spricht von schweren Verbrechen, die von Milizen an Kämpfern gegen den IS begangen wurden, und erwähnt ausdrücklich die ermordete kurdische Politikerin Havrin Khalaf.

Annen lobt das „klare Zeichen“ des EU-Außenministerrates vom Anfang der Woche und verspricht: „Keine neuen Exporte von Rüstungsgütern, die in Syrien benutzt werden können“. Es werde auch keine Hilfe für Gebiete geben, in denen die Rechte der Zivilbevölkerung nicht gewahrt werden. Die Bundesregierung behalte sich weitere Maßnahmen vor. Dennoch, bei aller Empörung sei die Abwendung der Türkei von der Nato nicht im deutschen und europäischen Interesse, man hoffe noch immer auf eine politische Lösung.

Agnieszka Brugger von den Grünen betont die politischen und gesellschaftlichen Erfolge der KurdInnen in den zurückliegenden Jahren. Der türkische Angriff führe zu noch mehr Gewalt, Erdoğan gehe es „um ethnische Vertreibung“. Die untätige Haltung der Bundesregierung komme ihr bekannt vor, sagt Brugger und erinnert an den Einmarsch der türkischen Armee in Afrin im Frühjahr 2018. Dass die Kanzlerin und die Bundesregierung nicht deutlich sagten, dass hier Völkerrecht gebrochen werde, sei eine Bankrotterklärung.

„Stoppen Sie den Einsatz der Bundeswehr über Syrien in der Koalition der Willigen“, appelliert sie an Angela Merkel. Auch der gerade mal halbe Rüstungsexportstopp an die Türkei müsse zu einem kompletten erweitert werden. Brugger fordert, wie auch ihr Kollege von der FDP, das Ende der Hermes-Bürgschaften für die Türkei.

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