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Bundestag diskutiert AgrarsubventionenDer Preis des Hungers

Wie kann die globale Hungerkatastrophe bekämpft werden? Der Bundestag diskutiert über Agrarsubventionen. Nur Minister Seehofer hält sie für einen Nebenkriegsschauplatz.

Billiges Tomatenmark aus Italien macht den Anbau in Ghana unrentabel. Bild: dpa

Warum werden die Lebensmittel teurer? Im Bundestag fand man am Mittwoch nicht zu einer einhelligen Analyse. Für Agrarminister Horst Seehofer (CSU) ist klar: Die Zahl der Menschen auf der Erde wächst, daher muss die Produktion ausgeweitet werden. Anders als noch vor wenigen Tagen will er aber offenbar nicht mehr vorrangig die heimischen Bauern fördern. Stattdessen zielt er auf die Entwicklungsländer - "wo die Menschen leben, die vom Hunger bedroht sind". Auch von der industriellen Landwirtschaft scheint er nicht mehr viel zu halten. Nahrungsmittel sollten "nicht durch internationale Konzerne, sondern durch bäuerliche Landwirtschaft" erzeugt werden. Die Agarpolitik empfindet er nicht als Problem. "Die Exportsubventionen sind ein Nebenschauplatz", meinte er - zumal sie 2013 ohnehin auslaufen sollen.

Fraktionsvorsitzende Renate Künast war nicht so gelassen: "Die wahren Gründe für das Problem liegen in der seit Jahrzehnten von EU und USA betriebenen falschen Agrar- und Welthandelspolitik." Die Agrarexportsubventionen der Industrieländer hätten dazu beigetragen, die Produktion in den Entwicklungsländern zu senken, meinte auch Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD).

Rund 50 Milliarden Euro erhalten Europas Bauern jährlich an direkten Finanzhilfen aus Brüssel. Hinzu kamen noch einige Milliarden, um den Export der Agrarprodukte zu unterstützen, denn die EU-Produkte waren lange konkurrenzlos teuer. Von 2002 bis 2005 betrugen die EU-Hilfen für den Agrarexport jährlich etwa 3,4 Milliarden Euro, so Ökonom Harald von Witzke von der Humboldt-Universität in Berlin. 2006 sanken diese Subventionen dann auf 2,4 Milliarden, weil inzwischen die Weltmarktpreise gestiegen waren. 2007 wurden wohl kaum noch Agrarexportsubventionen gezahlt, schätzt Handelsexperte Tobias Reichert von Germanwatch. Weizen und Milch haben sich auf dem Weltmarkt so verteuert, dass selbst die kostspieligen EU-Produkte mithalten konnten.

Die EU-Agrarexportsubventionen sind ein Beispiel, wie mit wenigen Milliarden Euro weltweit die Märkte gestört werden können. In Ghana haben die Tomatenbauern keine Chance, weil das importierte Tomatenmark aus Italien billiger ist. In Sambia befürchten Kleinbauern, dass sie ihre Viehwirtschaft wieder einstellen müssen, weil sie langfristig nicht gegen das Milchpulver aus Europa ankommen. Und in Westafrika werden die Züchter ihr Schweinefleisch nicht mehr los, weil die EU momentan den Export mit 54 Euro pro 100 Kilogramm fördert. Der Evangelische Entwicklungsdienst hat ausgerechnet, was das vor Ort bedeutet: Die Europäer können ihr Schweinefleisch für 0,44 Euro pro Kilo anbieten, während die durchschnittlichen Produktionskosten in Westafrika 1,72 Euro betragen. "Die EU-Exportsubventionen waren wenig sinnvoll", sagt Agrarexperte Thomas Heckelei aus Bonn.

Allerdings sorgt Europa manchmal auch ohne Subventionen für handelspolitische Verwüstungen. Beispiel Hähnchenkeulen: Inzwischen wollen die Westeuropäer nur noch die kalorienarme Brust des Geflügels zu sich nehmen. Doch ist es teuer, die unverkäuflichen Fleischreste zu entsorgen, weil dabei strikte Hygienevorschriften zu beachten sind. Daher ist es rentabler, die Hähnchenkeulen in Afrika zu Niedrigpreisen zu verschleudern. Pech für die dortigen Rinderzüchter, die ihr Fleisch nicht mehr loswerden.

Die Regierung setzt jetzt auf Soforthilfe. Angesichts der weltweiten Hungerproteste kündigte Wieczorek-Zeul an, die Nahrungsmittelhilfe um weitere 10 Millionen Euro aufzustocken. Schon letzte Woche hatte sie ein Plus von 13 Millionen angekündigt.

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5 Kommentare

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  • HO
    Horst Ostendorf

    Wenn man der systemrational-konfusioniert gebildeten Suppenkaspermentalität in "Wer soll das bezahlen?" und "Individualbewußtsein" folgt, dann hat die Hungerproblematik selbstverständlich viele Ursachen, und die Propaganda von der Überbevölkerung stimmt dann "natürlich" auch.

     

    Wenn man aber eine Vernunftbegabung von eindeutiger Wahrheit in geistig-heilendem Selbst- und Massenbewußtsein will, dann gibt es für alle Problematiken dieser Welt- und Werteordnung nur eine Ursache - der menschenUNwürdige Wettbewerb, um das "Recht des Stärkeren" der "freiheitlichen" Marktwirtschaft.

  • K
    Ked

    Instead of making rich the chemical-industrial agro-industry - and the military industry -, both destroying land and making poor, eving killing millions of people, directly or indirectly, instead of this: Stop desruction of the last 20 percent of the world's rainforests, and support to build cooperatives, especially for pushing back the deserts in Africa, Australia, India, South America etc, using solar-powered desalted water from the oceans!

  • BW
    bernhard wagner

    Das globale Hungerproblem hat viele Ursachen und eine ebenso vielfältige Lösungsstrategie ist notwendig. Neben Ressourcenverbrauch in hoch industrialisierten Regionen u.a. Faktoren, inkl. der Bevölkerungzahl - siehe Komm. v. Anne oben - sind auch Agrarsubventionen bedeutsam. Bei www.bund.net stehen dazu gute Forderungen. Außerdem sollte der Entwicklungshilfehaushalt der EU Staaten, der USA etc. mindestens verdoppelt werden - zu Lasten der Rüstungshaushalte. Davon wäre Land- und Forstwirtschaft zu fördern, nach Bio-Standards u. nach ILO Standards (für die LandarbeiterInnen). Besonders in Wüstenrandgebieten wäre die Wüste systematisch zurückzudrängen, auch mithilfe solartechnisch aufbereitetem Meerwasser, das ggf. in Pipelines ins jew. Landesinnere zu leiten wäre.

    Im Rahmen dieser nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft könnte auch Biomasse für Mass-to-Liquid Anlagen wie jetzt im sächsichen Freiberg hergestellt u. mit Segelschiffen (bessere Ökobilanz) nach Europa, USA etc. transportiert werden, bzw, z.B. in Indien, per Bahn etc. in andere Landesteile. Kfz mit Biodiesel der sog. zweiten Generation wären v.a. für ärmere Länder schneller und billiger als Elektromotoren etc. die z.B. teuere Substanzen wie z.B. Lithium benötigen.

    Durch besagte wüstenreduzierende Bio-Land- u. Forstwirtschaft könnte auch das Hungerproblem entschärft werden (als Teil-Strategie).

  • WS
    wolfgang sukowsky

    Die EU-Agrarexportsubventionen haben den Baum der landwirtschaftlichen Erzeugnisse in den Hungerländern angesägt. Was sollen diese scheinheiligen Aufschreie unserer Politiker. Überall jeden Tag diese Verlogenheit.

  • A
    Anne

    Ich finde in dieser Frage auch wichtig, aber vernachlässigt, die Selbstbestimmung der Frauen weltweit zu stärken, dazu aber auch das Bewusstsein auch der Männer zu verändern.

    Besonders ist gegen jede Form der, wie subtil auch immer, erzwungene Schwangerschaft, mobil zu machen.

     

    Das ist ein effektiver und der einzig humane Weg, die Bevölkerungszahl der Menschheit zu stabilisieren oder zu senken - und das wäre auch ein wichtiges Mittel auch der Armutsbekämpfung (auch des Umweltschutzes), obwohl das - weil es nämlich meist missbraucht wird, um von anderen Ursachen der Armut etc abzulenken - in linken Kreisen ungern gehört und gesagt wird.

     

    Falsche Bescheidenheit gegen "andere Kulturen", obwohl oft aus gutmütigen Motiven, ist hier etwas, das mit H. Marcuse als "repressive Toleranz" zu bezeichnen wäre (Marcuse hat sicher konkret primär an andere Dinge bei dem Begriff gedacht, aber er passt exzellent auch hier).