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■ Bundesrat will Wehrmacht-Deserteure rehabilitierenDer blinde Fleck der Konservativen

Es war keineswegs leicht, aus der Nazi-Wehrmacht zu desertieren. Selbst wer nur seine eigene Haut retten wollte, bewies mit der Fahnenflucht mehr persönlichen Mut und Nonkonformismus als das Gros der Wehrmachts-Angehörigen, die bis zum bitteren Ende einer verbrecherischen Führung hinterhertrotteten. Die Deserteure zeigten Tugenden, die eigentlich für den demokratischen Staat konstitutiv sein sollten. Allein – selbst als die Verschwörer des 20. Juli von Hochverrätern zu Vorbildern ethischer Gesinnung avanciert waren, blieben die Deserteure stigmatisiert. Es stand zuviel auf dem Spiel: die Rechtmäßigkeit der Militärjustiz, die Unbeflecktheit der Wehrmacht, letztlich die Forderung, daß sich der einzelne, right or wrong, der Staatsmacht unterzuordnen habe.

Eine Bresche in die dumpfe Ideologie völkischer Schicksalsgemeinschaft schlug – über 45 Jahre nach dem Krieg! – das Urteil des Bundessozialgerichtes, das die Wehrmacht-Justiz als integralen Bestandteil des totalitären Systems charakterisierte und den Nachkommen der Verurteilten einen Rentenanspruch nach dem Bundesversorgungsgesetz eröffnete. 1995 beschlossen die Träger der Rentenversicherungen, die Haftzeit von Opfern der Wehrmacht-Justiz als „Ersatzzeit“ für die Rente mitzuzählen. Aber bis heute konnte kein Bundesgesetz verabschiedet werden, das Urteile aufgrund der ganzen unsäglichen Palette des Strafgesetzbuches, des Militärstrafrechts, der Sonderverordnungen etc. für pauschal null und nichtig erklärt, die Opfer rehabilitiert und entschädigt hätte. Es blieb bei der oft schwierigen Einzelfallprüfung.

Die Initiative von Sachsen-Anhalt, die jetzt, via Bundesrat, ein solches Gesetz auf den Weg bringen will, droht ein weiteres Mal im Bundestag zu versanden. Vordergründig beziehen sich die Einwände der konservativen Mehrheit auf das Problem, daß eine solche pauschale Nichtigkeitserklärung auch Handlungen beträfe, die nach heutigem Verständnis als „normale“ Straftaten zu bewerten seien. Aber diese Bedenken ließen sich durch eine entsprechende Klausel ausräumen, eine Klausel, die allerdings davon Kenntnis zu nehmen hätte, daß Fahnenflucht oft nur mittels „normaler“ Straftaten wie Diebstahl zu bewältigen war. Aber den Konservativen geht es gar nicht um vernünftige Kriterien, sondern darum, das Stigma aufrechtzuerhalten. Schließlich ist Desertion auch heute ein Straftatbestand. Christian Semler

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