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BundesligaDie große Party neben dem Stadion

Weil die Ostkurve im Stadion gesperrt ist, schauen 8.000 Hertha-Fans das Spiel gegen Stuttgart auf einer Leinwand in der Waldbühne. Dass mit dem 0:1 der Abstieg noch näher rückt, gerät zur Nebensache.

Hertha-Fans in der Waldbühne. Bild: DPA

Gut 8.000 sind gekommen. Rund 500 Meter westlich des Olympiastadions starren sie in der Waldbühne auf eine Leinwand. Darauf ist die prall gefüllten Ostkurve zu sehen, das eigentliche Zuhause der Fans bei den Heimspielen von Hertha BSC Berlin. Die Bilder sind eine Aufzeichnung. Denn die Ostkurve ist an diesem Samstag beim Spiel gegen den VfB Stuttgart menschenleer. Sie ist gesperrt. Als Strafe für die Ausschreitungen nach dem Spiel gegen Nürnberg. Deshalb sind sie ja hier, die 8.000. Sie machen Party. Mächtig Stimmung.

"Das ist natürlich schon ein wenig merkwürdig, eine Leinwand anzufeuern", sagt Steffen Toll vom Förderkreis Ostkurve. Trotzdem brüllen und singen die Fans, als wenn sie im Stadion stünden. Eins ist anders. Es gibt einen neuen Schlachtruf: "Stadionverbot, wir haben alle Stadionverbot", rufen sie zu Tausenden wieder und wieder. Es ist ihre Art, Solidarität zu zeigen mit den 27 identifizierten Übeltätern, die nach den Ausschreitungen vor vier Wochen für drei Jahre Stadionverbot bekamen. Der Rest darf bei der nächsten Partie gegen Schalke wieder in die Ostkurve - wo vor vier Wochen alles seinen Anfang genommen hatte.

Gut 100 Berliner Fans hatten nach dem 1:2 gegen Nürnberg das Feld gestürmt und mit Stangen um sich geschlagen. Hertha bekam daraufhin die Auflage, beim Spiel gegen Stuttgart maximal 25.000 Zuschauer ins Stadion und die Ostkurve komplett leer zu lassen.

"Mittlerweile haben wir alles aufgearbeitet", sagt Steffen Toll. Die Fans haben sich mit der DFB-Entscheidung abgefunden - es hätte ja auch viel schlimmer kommen können. Und so wurde kurzerhand das public viewing organisiert. Die Waldbühne war am Mittwoch eigens von rund 50 Fans mit Besen auf Vordermann gebracht worden. "Sie zeigen Reue. Das ist auch eine Art der Wiedergutmachung", sagt Hertha-Sprecher Gerd Graus. Der finanzielle Verlust für Hertha ist größer als gedacht. Auf über eine halbe Million wird der Einnahmenverlust beziffert. In die Waldbühne durften trotzdem alle kommen - auch die Verbannten. Die Initiative für das Event kam von den Fans. "Der Verein hat sofort positiv reagiert", sagt Toll, der einer der Initiatoren der Aktion ist. Jeden zweiten Tag trafen sich Fanvertreter und Organisatoren des Vereins, um die Veranstaltung innerhalb kürzester Zeit zu stemmen. "Das war super und man hat endlich mal die Leute kennen gelernt", freut sich Toll. Gerade für die Zukunft erhofft er sich deshalb für weitere Events eine gute und schnelle Zusammenarbeit. So hat die Aktion vielleicht ein wenig geholfen, dass Fans und Verein wieder mehr zusammengerückt sind. "Beide Seiten sind aufeinander zugegangen und der Verein hat gemerkt, dass er nicht über die Köpfe der Fans hinweg entscheiden kann", sagt Toll.

Die sportliche Zukunft für Hertha allerdings sieht düster aus. Spätestens ab der 74. Minute des Spiels. Da trifft der Stuttgarter Cacau zum 0:1. Und in der Waldbühne macht sich Resignation breit. Schon vor Spielende ziehen viele von dannen. Dabei schockt das 0:1 niemanden wirklich. Niederlagen und Rückschläge sind für Hertha-Fans in dieser Saison schon fast Routine.

Das Sportliche ist bei dieser Veranstaltung ohnehin nur zweitrangig. Das Zusammengehörigkeitsgefühl sollte wieder gestärkt werden. "Es ging darum, den Partycharakter zu betonen und wieder enger zusammenzurücken", erklärt Toll. Mit Herthas möglichem Abstieg haben sich einige scheinbar schon abgefunden. "Die Meinungen gehen da auseinander, aber ich habe die Saison schon nach dem Nürnberg-Spiel abgehakt", sagt Toll. Er hofft nur noch, dass die Saison anständig zu Ende gespielt wird und nach einem möglichen Abstieg nicht zu viele Fans dem Verein den Rücken kehren werden.

So können trotz der Niederlage die meisten Fans der Waldbühnen-Aktion etwas Positives abgewinnen. "Es war ein guter Ersatz und besser als nichts", sagt ein Fan. "Die Stimmung war trotzdem toll und die Akustik fast noch besser als im Olympiastadion", findet Toll. Ein dauerhaftes Exil will aber niemand. "Wer ist schon gerne ausgesperrt, wo er sich zu Hause fühlt."

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