Bundesarbeitsgericht urteilt: Flashmobs im Einzelhandel möglich
Bei Streiks im Einzelhandel dürfen Gewerkschaften Spontanaktionen in Geschäften organisieren. Der Bundesarbeitsgericht weist eine Händlerklage ab, setzt aber Grenzen für die Protestform.
BERLIN taz Bei Arbeitskämpfen im Einzelhandel dürfen Gewerkschaften sogenannte Flashmobs organisieren. Das hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entschieden. Zulässig sind Spontanaktionen in Läden laut Urteil aber nur, wenn die Händler sich durch Geschäftsschließungen oder die Nutzung ihres Hausrechts wehren können. Damit wurde eine Klage des Handelsverbands Berlin-Brandenburg (HBB) gegen die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di auch in dritter Instanz zurückgewiesen. Der HBB prüft nun einen Gang vor das Verfassungsgericht.
Flashmobs werden üblicherweise über Mailverteiler im Internet organisiert. Dabei wird zu mehr oder weniger sinnvollen, kurzen Aktionen an öffentlichen Orten zu einer bestimmten Uhrzeit aufgerufen. Diese Idee übernahm Ver.di beim Tarifstreit im Dezember 2007. Streikende sollten in einem Supermarkt im Berliner Ostbahnhof Einkaufswagen vollpacken, diese dann aber in den Gängen stehen lassen. Andere sollten mit dem Argument, man habe das Geld vergessen, eine Großzahl von Waren nach dem Scannen an der Kasse nicht bezahlen.
"Die Arbeitgeber hatten Streikende in kürzester Zeit durch Leiharbeiter ersetzt", sagt Ver.di-Vertreterin Erika Ritter. Um dennoch Druck ausüben zu können, habe man zu dem außergewöhnlichen Mittel gegriffen. Kritik, dass Waren bei solchen Aktionen mutwillig zerstört werden könnten, weist Ritter zurück: "Daran waren nur streikende Verkäuferinnen beteiligt, die machen so etwas nicht." Auch künftig will Ritter auf Flashmobs als letztes Mittel nicht verzichten.
HBB-Hauptgeschäftsführer Nils Busch-Petersen hingegen ist empört über das Urteil. Zwar gebe es Einschränkungen für Flashmobs, die aber seien weltfremd. Teilnehmer seien ja erst zu erkennen, wenn der Protest schon begonnen habe. "Soll ich dann etwa ein Kaufhaus per Feueralarm evakuieren?", fragt Busch-Petersen. Der Gewerkschaft wirft er vor, mit den Spontanaktionen über die eigene Schwäche hinwegtäuschen zu wollen. "Die haben das Problem, genug Leute unter den Mitarbeitern zu gewinnen", sagt Busch-Petersen. Nun erlaube das Gericht der Gewerkschaft, Hilfstrupppen von außen zu organisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier