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Bürgerrechtler über Grenzkontrollen der EU„Europa wird noch unmenschlicher“

Die computergesteuerte Grenzsicherung der EU ist teuer, ineffektiv und vor allem menschenrechtswidrig, sagt Ben Hayes. Die EU sei zu sehr auf ihre Sicherheitsagenda fixiert.

Die EU will an ihren Außengrenzen aufrüsten. Bild: AndreasF. / photocase.com
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Herr Hayes, Sie haben die Pläne der EU zur Aufrüstung der Außengrenzen analysiert. Ihre Kritik kreist vor allem zum zwei Punkte: Alles sei zu teuer und ineffektiv. Sind das Ihre einzigen Probleme damit?

Ben Hayes: Nein. Das Ganze ist in der Tat zu teuer und ineffektiv. Aber es ist auch grundrechts- und menschenrechtswidrig.

Warum verstößt es gegen die Grundrechte, wenn zentral erfasst wird, wer nach Europa kommt?

Das stellt alle Drittstaatsangehörigen, die nach Europa einreisen, – jährlich rund 100 Millionen – unter Generalverdacht. Die laufende Rechtsprechung ist eindeutig: Die Speicherung personenbezogener Daten ist nur erlaubt, wenn eine konkrete Notwendigkeit, etwa zur Strafverfolgung, nachgewiesen werden kann. Davon kann hier aber überhaupt keine Rede sein.

Das neue System soll feststellen, ob Reisende länger bleiben als gestattet. Warum sollte die EU das nicht kontrollieren?

Die sogenannten Overstayer werden bei der Ausreise sowieso entdeckt. Wenn es wirklich darum ginge, das einzudämmen, gäbe es andere Wege.

Bild: Archiv
Im Interview: Ben Hayes

ist Analyst bei der Bürgerrechtsorganisation „Statewatch“ und dem „European Center for Constitutional Rights“. Für die grüne EU-Fraktion hat er die Pläne zum Ausbau der EU-Grenzkontrolle analysiert.

Welche denn?

Die mit Abstand meisten Verletzungen der Aufenthaltsbestimmungen begehen Bürger von Staaten, die auf der „White List“ stehen: jene, die ohne Visum drei Monate bleiben dürfen, etwa USA, Kanada, Australien. Die bleiben oft einfach länger. Wenn überhaupt, sollte die EU ihre Politik gegenüber diesen Ländern prüfen. Stattdessen gibt man Milliarden für ein sinnloses System aus.

Weshalb glauben Sie, dass die Datenbank nicht greift?

Es gibt viele Gründe, warum man seinen Aufenthalt überziehen kann, wie Krankheit, Asylantrag, Unfälle. So aber werden alle automatisch polizeilich ausgeschrieben. Das ist sinnlos.

Wenn es sinnlos ist, warum, glauben Sie, will die EU die Daten haben?

Es ist denkbar, dass sie in Zukunft ähnlich genutzt werden wie das Schengener Info-System SIS. Das ist bisher vor allem dazu da, Kriminelle zu registrieren. Dann hätte die Polizei Zugriff auf eine riesige Biometrie-Datenbank.

Ist Datenschutz nicht das kleinste Problem für Papierlose, die in Europa sofort interniert werden, wenn die Polizei auf sie aufmerksam wird?

Die Gesetzentwürfe für Eurosur – das System zur Überwachung der Außengrenzen – sehen vor, keine Namen von Flüchtlingen zu erfassen und an Drittstaaten weiterzugeben. Das soll erschweren, dass Flüchtlinge nach einer Abschiebung misshandelt werden. Diese Klausel ist in den Vorlagen überhaupt nicht bestimmt.

Sie schlagen vor, darauf zu verzichten, mehr automatische Kontrollgates aufzustellen oder allen Einreisenden die Fingerabdrücke abzunehmen. Das wird am Sterben an den Außengrenzen nichts ändern. Müsste es nicht darum gehen, den legalen Zugang nach Europa wieder zu öffnen?

Schon. Aber das wird nicht passieren. Die EU hat die Zugangswege für Menschen in armen Ländern dichtgemacht, die Anforderungen für ein Visum sind extrem hoch. Dahinter wird sie nicht zurückfallen.

In Ihrer Studie heißt es, die geplanten „Smart Borders“ würden „unmenschlicher“. Was ist menschlicher daran, wenn mich ein Zöllner festnimmt, als wenn die automatische Schleuse einer „intelligenten Grenze“ mich nicht durchlässt?

Natürlich werden schon jetzt Computersysteme an den Grenzen eingesetzt. Aber es ist ein Paradigmenwechsel, eine andere Art von Regime, wenn solche Orte immer mehr von autonomen und semiautonomen technischen Systemen reguliert werden.

Technische Systeme, wie die Drohnen zur Migrationsabwehr, vor denen Sie auch in Ihrer Studie warnen? In den offiziellen Dokumenten ist davon aber nirgends die Rede.

Es ist wahr, dass Drohnen nicht explizit erwähnt werden. Das wird auch so bleiben. Aber die Eurosur-Bestimmungen ermutigen die Mitgliedstaaten dazu, Drohnen einzusetzen. Wir haben sechs offizielle Projekte des EU-Sicherheitsforschungsprogramms EUSRP identifiziert, die sich mit dem zivilen Drohneneinsatz befassen. Die haben ein Budget von rund 100 Millionen Euro. Dazu kommen militärische Drohnen-Forschungsprojekte der Europäischen Verteidigungsagentur EDA mit einem Budget in ähnlicher Größenordnung.

Wozu könnte die EU die Drohnen einsetzen wollen?

Beispielsweise um Küsten und Häfen in Herkunfts- und Transitregionen zu beobachten, etwa in Nordafrika. So könnten Zelte oder große Gruppen von Personen identifiziert werden, bevor sie sich überhaupt auf den Weg machen. Das wäre sehr hilfreich für Frontex. Das Gleiche gilt für die Überwachung des Meeres. Auf dem Radar fallen kleine Boote nicht auf.

Sie kritisieren die Rolle der Sicherheitsbranche bei der Einführung der neuen Grenzkontrollsysteme. Hat die Industrie den Politikern das Ganze eingeredet?

Die Industrie wirbt mit gewaltigem Aufwand für die Einführung dieser Technologien. Und die EU-Kommission könnte das System nicht vorschlagen, wenn es keine Industrie gäbe, die sagt: Wir können das liefern. Vor allem aber will die EU sich als Global Player für Sicherheitstechnologie aufstellen. Und deshalb subventioniert sie die Biometrie-Branche mit enormen Forschungsmitteln.

Sie fordern, die EU solle ihre Außenpolitik nicht primär an Sicherheitsaspekten ausrichten. Wie sähe das Ihrer Meinung nach aus?

Die EU hat nach den arabischen Revolutionen vor allem auf Kooperation bei der Migrationsabwehr gedrängt. Dabei haben die Länder Nordafrikas genug eigene Sorgen: Sie müssen ihre Demokratie stabilisieren, funktionsfähige Regierungen aufbauen. Dabei sollte die EU helfen, statt nur ihre eigene Sicherheitsagenda zu verfolgen.

Ist das nicht wahnsinnig idealistisch?

Ja, klar. Aber es gibt den Lissabon-Vertrag. Darin verpflichtet sich die EU, die Menschenrechte einzuhalten. Das kann man schon anmahnen.

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16 Kommentare

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  • K
    Ken

    Wir sind doch für die Zustande in solchen Ländern wo die Flüchtlinge herkommen verantwortlich, weil wir den Globalen Süden abhängig von uns machen und garnicht wollen das es ihnen besser geht.

  • TT
    Thomas Trasolt

    "..Krankheit, Asylantrag, Unfälle" Oder andere vorgeschobene Gründe, um den Aufenthalt zu verlängern, möchte man ergänzen.

  • R
    realitätsverweigerer

    Wenn Europa so unmenschlich ist, warum kommen dann die vielen Schwarzen schiffeweise hier her???

    Da sollte SEMTEX mal Aufklärung in Afrika machen wie unmenschlich es hier mit Harz4 und Co. ist, dann hat sich die illegale Einwanderung im nu von selbst erledigt.

  • K
    karinbryant

    .....und wie menschlich ist ein voellig ueberbevoelkertes Europa nachdem alle die es schaffen auf den Kontinent kommen? Europa kann nicht das Sozialamt fuer die 3.Welt sein.....

    Und wer als Fluechtling durch irgendwelche Krieg in der Heimat auf den Kontinent flieht muss auch einsehen dass sein Aufenthalt eine temporaere Sache ist und nicht zu permamentem Zustand werden kann.

  • TS
    Thomas Sch.

    Also das Wort "unmenschlich" kann man nicht steigern. Entweder ist eine Sache unmenschlich oder sie ist es eben nicht. Wie kann etwas nicht menschlicher sein als etwas anderes ? Ist eine Zanhbürste unmenschlicher als ein Stück Seife ? Ist Sabine menschlicher als Andrea ? Zum Thema: Die Entscheidung jemanden hereinzulassen oder eben nicht, kann man treffen. Wenn man jemanden hereinlassen will, gut. Wenn nicht, dann kann ich es aber bitte doch auch nicht tolerieren, daß jemand diese Entscheidung nicht akzeptiert. Frage: Habe ich es zu tolerieren, daß in Mekka, Saudi-Arabien große Schilder mir als Nicht-Muslim den Weg zu bestimmten Plätzen verbieten oder habe ich es nicht zu tolerieren ? Sind manche Verbote verbotener (unmenschlicher) als andere ? Darf ich dir etwas verbieten, was du mir nicht verbieten darfst ? Wenn wir uns in Europa entschieden haben, eben nicht jeden hereinzulassen, dann ist das hinzunehmen. (Kleiner Hinweis an Wortverdreher, Antifanten u.Ä.: Nein, an der Grenze soll nicht geschossen werden. Nein, ich will niemanden in Lager stecken. Nein, ich bin weder rechtsradikal noch Hitlerist oder sowas.)

  • B
    Berlina

    Mag sein, dass das Geld bei der Sicherung der EU-Grenzen nicht immer richtig eingesetzt wird, allein die noch immer hohen Zahlen von illegalen Einwanderern in Griechenland, Italien bis Deutschland zeigen ja ein Versagen auf.

     

    Aber einen "Schleuser-Lobbyisten" wie Hayes zu befragen, macht genauso viel Sinn, wie die Frösche beim Trockenlegen des Teiches zu Rate zu ziehen. Es schwingt ja schon in den Antworten mit, dass Hayes die Einwanderung befürwortet und eigentlich nur dessen Bremsung kritisiert.

    Das als "unmenschlich" zu bezeichnen ist absurd, wenn man die Opfer solcher verantwortungsloser Einwanderung, nämlich die Europäer, betrachtet. Die wollen keine illegale Armuts-Einwanderung und wehren sich dagegen, wenn der Staat es nicht tut.

    Bsp. Israel http://www.taz.de/!94032p3274/ wo die Bevölkerung dann weniger menschlich die Dinge in die eigene Hand nimmt, weil die Regierung versagt hat. Wer solche Zustände nicht will muss die Grenzsicherung voran bringen und eine effektive und schnelle Abschiebung ermöglichen. Denn nur die Alternative dazu ist unmenschlich!

  • V
    vic

    "Ja, klar. Aber es gibt den Lissabon-Vertrag. Darin verpflichtet sich die EU, die Menschenrechte einzuhalten. Das kann man schon anmahnen."

     

    Dem weiß ich nichts hinzuzufügen.

  • HK
    Hans-Jürgen Kapust

    Bitte, was heißt für Europa denn schon Menschenrechte, und sich darauf vepflichtet haben, wenn man sich seiner "Schande" weigert bewusst zu werden?

    Ja, auch die taz kann anscheinend ganz darauf verzichten, dies als Skandal zu betrachten.

    "Was fehlt", fehlt eben.

    Flüchtings- und Asylpolitik sind genau so schandhaft, wie alle andereren sogenannten "einzig vernünftigen" Maßnahmen der EU.

  • D
    D.J.

    "Warum verstößt es gegen die Grundrechte, wenn zentral erfasst wird, wer nach Europa kommt?

     

    Das stellt alle Drittstaatsangehörigen, die nach Europa einreisen, – jährlich rund 100 Millionen – unter Generalverdacht."

     

    Wenn ich mal ein Wörterbuch der linken Phrasen schreibe, wird "Generalverdacht" gewiss darin vorkommen. Wieso werden eigentlich Pässe kontrolliert? Stellt doch auch alle Einreisenden unter Generalverdacht.

  • L
    Lisken

    Legen wir die Karten auf den Tisch.

     

    Es leben über 6 Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Wir Deutsche machen etwa 80 Millionen Menschen aus.

     

    Die eindeutige Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten lebt in Ländern ohne so ein tolles Sozialsystem wie in unserem Land. Natürlich will aber ein jeder davon profitieren, weil es ihm finanziell in seinem Land ja schlechter geht.

     

    Nun dürfen wir uns die Frage stellen inwieweit unser System noch funktionieren wird, wenn mehr Nutznießer ohne Bezug zu unserem kulturell verpflichtenden Gesellschaftsvertrag und den Fähigkeit der Teilnahme an unserem hochkomplexen Arbeitsmarkt vorhanden sind, als sich verpflichtet fühlende Menschen die dazu in der Lage sind, mit Innovation und toller Ausbildung in die Tasche unserer Alten aber auch unserer Kinder zu wirtschaften.

     

    Man kann auch Links sein um sich die Frage zu stellen, wie wir unser System am besten auch für unser Alter und unsere Enkel aufrecht erhalten können. Ich bin Sozialdemokratin und ich denke darüber nach.

     

    Wollen wir unser System wirklich zerstören? Oder wollen wir es erhalten?

     

    Tun wir den Wirtschaftsflüchtlingen wirklich etwas Gutes, wenn wir sie weiter in Abhängigkeit halten?

  • W
    willy

    Gut, dass wir uns nicht nach Herrn Hayes richten müssen!

  • N
    Name

    Was ist denn mit der Vorratsdatenspeicherung im Inland? Werden wir etwa nicht unter Generalverdacht gestellt? Oder, in Bezug auf die 37 Millionen durschnüffelten Mails 2010, werden wir nicht bereits von den Institutionen verdächtigt, die uns schützen sollen?

  • G
    Gaby

    Ich sehe nicht das Europa unmenschlicher wird. Das Gegenteil ist der Fall, die Regierungen können ihr Volk nicht weiter ignorieren. Das Volk will nämlich nicht weiter für die Illegalen aufkommen!

  • K
    Kommentator

    Es sollte vielleicht gesagt werden, dass die Grenzen unmenschlicher werden und nicht Europa als Ganzes.

  • M
    Mike

    Das ganze ist doch bald an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten.

    Wer wirklich verfolgt wird der hält dort an wo er nichtmehr verfolgt und dementsprechend sicher ist.Er reist nicht durch 10+ weitere Länder bis er dort angekommen ist wo es die höchsten Sozialleistungen gibt, hat nebenbei noch ettliche tausende Euro/Dollar um Schlepper zu bezahlen und wirft seinen Pass weg damit sein mit Sicherheit abgewiesener Asylantrag nicht in einer Rückführung endet.

    Das Asylrecht ist kein Recht zur Migration , es gilt nur und ausschliesslich für Verfolgte und dies auch nur solange bis sich die Situation im Herkunftsland geändert hat.

    Man sollte langsam mal beginnen all die Schlupflöcher zu stopfen die Abschiebungen im Wege stehen, und Regelungen einführen das Gewaltkriminalität jedweden Abschiebeschutz bricht

  • I
    isomatte

    Einfach in jedem EU Staat eine verbindliche Volksabstimmung starten wo gefragt wird ob man diese Illegalen ins Land lassen soll oder nicht. Das wäre richtige Demokratie!