Bürgermeisterwechsel: Richter für zwei Tage
Kurz vor der Wahl wollte die Bremerhavener SPD noch einen neuen OB installieren. Dafür ließ sich der alte monatelang beurlauben - mit irreführenden Aussagen.
![](https://taz.de/picture/285759/14/cyber_N2_schulz_4sp_4c.jpg)
Jörg Schulz will nicht mehr. Weil man aufhören soll, wenns am schönsten ist, sagt er selbst. Weil ihn keiner mehr haben will, sticheln andere. Jedenfalls hat SPD-Mann Schulz, um seine Entlassung aus dem Amt gebeten. Aus dem Richteramt, wohlgemerkt. Und das ist das Problem. "Tricks" und "Schweinerei" schäumt die Opposition in Bremerhaven, die Grünen-Fraktion der Seestadt erwägt einen erneuten Gang vors Verwaltungsgericht. Die Kommunalaufsicht beim Bremer Innenressort, SPD-geführt, hat eine Prüfung der Schulzschen Karrierepläne angekündigt und selbst der Bremerhavener Koalitionspartner CDU sieht "moralische Probleme".
Tatsächlich nämlich hat Jörg Schulz seit elf Jahren kein Urteil mehr im Namen des Volkes gesprochen. Das Amt, das der SPDler in Bremerhaven bekleidet, ist vielmehr das des Oberbürgermeisters - offiziell noch bis Ende November 2011. Solange wollte weder Schulz noch seine Partei warten. Ersterer ließ sich ab Januar beurlauben, für elf Monate, die große Koalition wählte den bisherigen SPD-Fraktionsvorsitzenden Melf Grantz zu seinem Nachfolger. Der Magistrat ernannte Grantz zum neuen Oberbürgermeister. Seine sechsjährige Amtszeit soll am 1. Januar 2011 beginnen - knapp sechs Monate vor der Kommunalwahl am 22. Mai, aus der die Koalition möglicherweise nicht als Gewinner hervorgeht.
Möglich war schon das nur mit einigen Winkelzügen. Einfach zurückzutreten nämlich weigerte sich Schulz - dann hätte er seine bisher erworbenen Pensionsansprüche verloren. Ihn einfach nur zu beurlauben ging aber auch nicht. Denn dann, so urteilte das von der Bremerhavener Grünen-Fraktion angerufene Verwaltungsgericht im Eilverfahren, bestünde die Gefahr, dass Schulz wieder zurückkehre - womit es einen OB zu viel gäbe.
Bremerhaven, 1827 als Amt gegründet, erhielt 1851 die Stadtrechte und wurde nach einiger Bedenkzeit 1880 in die Autonomie entlassen: Seither hat es einen Stadtdirektor, der seit 1923 den Titel des Oberbürgermeisters führt.
Dieser Titel werde seit 1947 vom SPD Unterbezirk Bremerhaven an verdiente Mitglieder verliehen, glauben viele. Doch das ist nachweislich falsch. Zwar waren Hermann Gullasch, Bodo Selge, Werner Lenz und Karl Willms genauso wie Jörg Schulz Sozialdemokraten.
Von 1995 bis 1999 aber herrschte dort Manfred Richter, der Mitglied der Kabarett-Gruppe Die Müllfischer und der FDP ist.
So kam das Richteramt ins Spiel. Jurist Schulz übte es vor seiner OB-Karriere am Amtsgericht Bremerhaven aus. Jetzt, so teilte er dem Bremer Justizressort Anfang November mit, wolle er wieder auf den Richterstuhl zurückkehren. Der Weg zur Ernennung Grantz zum neuen Oberbürgermeister war frei.
Offensichtlich aber war Schulz Sehnsucht nach dem Richteramt nicht ganz so groß. Er habe lediglich "angestrebt", ans Amtsgericht zurückzukehren, sagte Schulz der taz: "Jetzt nicht mehr." Er habe eine "noch interessantere" Stelle als Rechtsanwalt in einer Bremer Kanzlei aufgetan. Am Dienstag beantragte er seine Entlassung aus dem Richteramt. Allerdings nicht zum 1. Januar, dem ersten Tag seiner Beurlaubung als Oberbürgermeister. Sondern erst zum 3. "Das ist der erste Arbeitstag", begründet er. Zwei Tage will er Richter sein: den arbeitsfreien Neujahrstag und den nachfolgenden Sonntag. Schulz selbst räumt ein, sich nie beim Amtsgericht zur Rückkehr in den Dienst angemeldet zu haben.
Selbst die CDU, die bisher am Postengeschacher nichts auszusetzen hatte, erhebt nun Vorwürfe. "Man kann doch nicht der Bevölkerung monatelang vorgaukeln, man gehe ins Richteramt", tadelte gestern Fraktionschef Paul Bödeker. Die ganze Nummer sei offenbar "nur vorgeschoben" gewesen, kritisierte der Grünen-Stadtverordnete Claudius Kaminiarz. Er verweist auf den Spruch des Bremer Verwaltungsgerichts. "Die Rechtmäßigkeit der Beurlaubung Schulz als Oberbürgermeister", hatte dieses betont, hänge "entscheidend davon ab, dass der beurlaubte Oberbürgermeister seinem Wunsch entsprechend in den Justizdienst des Landes Bremens zurückkehre." Der Bremerhavener Magistrat dürfe "erst dann" einen zweiten Oberbürgermeister ernennen, wenn dies "rechtsbeständig feststeht". Dies sei auch die Rechtsauffassung der Kommunalaufsicht, teilte das Innenressort damals mit.
In dieser Logik, argumentiert Kaminiarz, sei Schulz schon zu unrecht beurlaubt worden. Damit hätte weder die Stadtverordnetenversammlung vorzeitig einen neuen Bremerhavener Oberbürgermeister wählen noch der Magistrat Grantz zum neuen Oberbürgermeister ernennen dürfen. Das Bundesverwaltungsgericht, sagt Jurist Kaminiarz, habe in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass der solchermaßen zu unrecht ins Amt gekommene seine Ernennungsurkunde zurückgeben müsse. Bremerhavens Oberbürgermeister hieße demnach auch 2011 vorerst einmal: Jörg Schulz. "Man spielt hier, als wäre man im SPD-Land", sagt Kaminiarz. Bis Redaktionsschluss war offen, ob seine Fraktion ein erneutes Eilverfahren beim Verwaltungsgericht anstrengt.
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