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Bürgerkrieg in SyrienRegierungschef ist weg

Der syrische Regierungschef Riad Hijab ist geflohen, sagen die Rebellen. Er wurde entlassen, heißt es im Staatsfernsehen. In Damaskus ist am Morgen eine Bombe explodiert.

Leben in Homs. Bild: reuters

DAMASKUS/BEIRUT dpa | Nach Angaben des syrischen Staatsfernsehens ist der Regierungschef Riad Hijab entlassen worden. Das berichtete der Sender am Montag. Dagegen erklärte die oppositionelle Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, der erst vor einigen Wochen berufene Hijab sei aus Syrien nach Jordanien geflohen. Dies verlautete am Montag auch aus jordanischen Regierungskreisen.

Im Gebäude des syrischen Staatsfernsehens in Damaskus ist am Montag eine Bombe explodiert. Dies berichteten staatliche syrische Medien. Die Wirkung sei allerdings gering gewesen. Einige Angestellte hätten leichte Verletzungen erlitten, erklärte Informationsminister Omran al-Subi.

Augenzeugen zufolge explodierte die Bombe im dritten Stock des Gebäudes und richtete erheblichen Sachschaden an. Sie sei von „feigen Terroristen" gelegt worden, die „Syrien destabilisieren wollen", sagte Al-Subi.

Der Kampf um Aleppo ist am Sonntag nach Angaben von Oppositionellen heftiger geworden. Die Regierungstruppen attackierten mehrere Stadtviertel, berichteten die syrischen Menschenrechtsbeobachter in der Nacht zum Montag im Internet.

Im britischen Sender BBC hieß es am Sonntagabend, die syrischen Regierungstruppen seien in Vorbereitung auf einen noch größeren Angriff auf Aleppo ständig verstärkt worden. Eine große Zahl von Soldaten sowie Panzern und anderen Militärfahrzeugen sei zusammengezogen worden, berichtete BBC-Korrespondent Richard Galpin von der türkischen Grenze. Kampfflugzeuge, Helikopter und Artillerie hätten Positionen der Rebellen attackiert.

Damaskus unter Kontrolle des Militärs

Die Hauptstadt Damaskus dagegen ist inzwischen wieder weitgehend unter Kontrolle des Militärs. In tagelangen heftigen Kämpfen eroberten Assads Truppen dort mit dem Stadtviertel Al-Tadamun die letzte Rebellenhochburg zurück. Nach Angaben eines lokalen Aktivisten sollen die Sicherheitskräfte bei Hausdurchsuchungen mehrere Menschen an Ort und Stelle erschossen haben. Von unabhängiger Seite lassen sich diese Informationen nicht überprüfen.

Das Rote Kreuz appellierte an Regierung und Rebellen, Zivilisten von Gewalt zu verschonen. Als eines der ersten europäischen Länder erwägt die Schweiz die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen. Man prüfe Möglichkeiten zur Hilfe für eine begrenzte Zahl von Syrern, sagte ein Sprecher des Bundesamtes für Migration in Bern.

Russische Medien berichteten, dass dem Regime vor allem raffinierte Erdölprodukte wie Diesel ausgehen. Die Delegation um Vizeregierungschef Kadri Dschamil habe in Moskau „eine gewisse Summe in harter Währung beantragt, um die komplizierte Lage in Syrien zu überbrücken“. Von russischer Seite lag zunächst keine Reaktion vor.

Für seine wirtschaftliche Misere machte das syrische Regime die USA und die EU und deren Sanktionen gegen das Land verantwortlich. Beobachter verweisen aber auch auf die enormen volkswirtschaftlichen Kosten eines Bürgerkriegs, der ganze Landesteile lahmlegt, Menschen am Arbeiten hindert und öffentliches wie privates Eigentum zerstört.

Während die Vereinten Nationen nach dem Rückzug von Kofi Annan nach einem neuen Syrienvermittler suchen, dringen die arabischen Staaten auf eine veränderte Ausgestaltung des Mandats. „Der einzige annehmbare Auftrag ist, auf eine friedliche Machtübergabe in Syrien hinzuarbeiten“, sagte der Ministerpräsident von Katar, Scheich Hamad bin Dschasim al-Thani.

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Themen #Syrien
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10 Kommentare

 / 
  • A
    Ant-iPod

    @toyak:

     

    Mit Respekt... aber Brigadegeneral hat sich auf die Seite der Opposition geschlagen und wollte sogar eine führende Rolle übernehmen.

    Das haben die politischen Vertreter der Opposition aber mehrheitlich abgelehnt, da er selbst als Teil des Assad-Regimes verschiedener Verbrechen verdächtig ist.

     

    Die Tatsache, dass er von Führungsaufgaben in der Opposition ausgeschlossen wurde bedeutet also nicht, dass er neutral ist.

     

    Ferner sagt der geflohene Ex-Premier, er hätte nicht helfen können, da man ihn und seine Familie mit dem Tode bedroht hat.

    Den Wahrheitsgehalt können wir zwar schwerlich überprüfen, aber wenn ich mir Syrien so ansehe, habe ich nicht den Eindruck, als wenn das total unwahrscheinlich ist.

     

    Ich frage mich, warum die Regierung Assad mit solcher Gewalt vorgeht und nicht stattdessen substantielle Angebote unterbreitet? Es gibt doch keinen besseren Weg, der vermeintlichen West-Propaganda den Boden zu entziehen, als transparent die Demokratie und Pluralismus in Syrien einzuführen.

    Dazu müsste er doch nicht einmal mit der Opposition sprechen, wenn das denn so schwierig ist... seine Machtbefugnisse als Präsident erlauben es ihm doch, hier selbst tätig zu werden.

     

    Warum glauben Sie, hat er dies weder seit 2000, noch seit der immer schlimmer eskalierenden Gewalt in Syrien getan?

  • T
    toyak

    An: Ant-iPod

     

    Ich sehe die Dinge deshalb etwas anders, weil uns die Entwicklung in anderen arabischen Ländern gezeigt hat, dass Personen an der Macht bleiben bzw. gekommen sind, die mit dem alten Regime die eigene Bevölkerung versklavt hat, um die Interessen des Auslandes gerecht zu werden. Schauen Sie sich Ägypten haben. Wir haben gefeiert, dass dort Wahlen stattgefunden haben. Jedoch hat dort der "demokratische" Militärrat den Präsidenten wie ein Löwe ohne Zähne gemacht. Seine Befugnisse sind angesichts der Tatsache, dass er vom Volk gewählt wurde, lächerlich.

     

    Der geflohene Premierminister soll vorübergehend die Führungsperson sein. Die Opposition hat keine andere Wahl, wen sollen Sie denn als Anführer präsentieren?

     

     

    Im Übrigen hatte und habe ich mit Opportunisten irgendwie immer Probleme. Für mich ist sein Verhalten deshalb nicht verständlich, weil er flüchten konnte, ohne eine Farbe zu bekennen. Dann hätte er die Möglichkeit genutzt, um die Oppositionskräfte zusammenzubringen und für die Zivilisten in Syrien etwas getan.

     

    Wenn mein Brunder in einem Schiff verletzt liegt und das Schiff zu sinken droht, bleibe ich bei ihm oder aber versuche ich Hilfe herbeizurufen.

     

    Der Typ hätte sich - wie Brigadegeneral Tlass - absetzen können, ohne sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen.

  • A
    Ant-iPod

    @toyak:

     

    Sind Sie wirklich der Ansicht, ein ehemaliger Landwirtschaftsminister und farbloses Al-Baath-Mitglied, der durch nichts aufgefallen ist, denn durch seine eher überraschende Ernennung zum Premier... dass der allen ernstes als "Führungsperson der Opposition" dargestellt werden soll?

     

    Oder anders:

    Glauben Sie wirklich, dass die Opposition, die nicht davor zurückscheut, die Waffe in die Hand zu nehmen, um sich eines mörderischen Regimes zu erwehren, ausgerechnet einen ehemaligen Premier eben dieses Regimes als Führungsperson einsetzen würde?

     

    Den Eindruck habe ich eher nicht. Ich glaube, der Mann ist einfach nur Opportunist, rechnete damit, dass das Assad-Regime fällt und hat sich deshalb abgesetzt, bevor es ihm oder seiner Familie von einer der beiden Konfliktparteien an den Kragen geht.

    Das hielte ich sogar noch für menschlich verständlich... schließlich will normalerweise niemand sterben.

     

    Die Frage war ernst gemeint - wie schätzen Sie das ein?

  • T
    toddi

    siehe da, Naivität hat einen (mehrere) Namen - Qatars Petro-Dollars gibts natürlich nicht für lulu, ein bischen muss man schon dafür tun- dummes Quatschen hier ein bischen Selbstbezichtigung da. Ausserdem fällt auf das es sich bei den "geflohenen" meistens um Sunniten handelt, deren Familien in den "befreiten" Gebieten wohnen. Zufall? Oder wird etwa ausser der Kohle,ein "bischen" beim Erkenntnisprozeß (in typisch islamistischer Art)nachgeholfen. Ein entführtes Familienmitglied hier- eine sehr persönliche Morddrohung on Top -und ein toter, gefolterter, verstümmelter, Onkel da, eine vergewaltigte Tochter, irgendwie muss die muslimische "Re-"besser Devolution ja "nahe" gebracht werden ..

  • T
    toyak

    An: Ant-iPod

     

    Zitat: "Seine Formulierung ist dabei aufschlussreich, denn er hätte ja auch einfach nur gehen können, ohne eine derart drastische Wertung abzugeben."

     

    Ob dieser Typ tatsächlich diese Erklärung mit diesem Inhalt abgegeben hat, erscheint mir angesicht der Tatsache, dass er die Erklärung verlesen hat und nicht vor dem Fernsehkamera aufgetreten ist, mehr als zweifelhaft.

     

    Hinter diesem Seitenwechsel sehe ich eher den Versuch, ein bekanntes Gesicht als "Oppositionelle" zu präsentieren, um diese Person als mögliche Führungskraft der "Opposition" zu verkaufen, da die "Opposition" keine wirklich überzeugende Persönlichkeit in ihrer Reihe hat.

     

    Ich sehe davon ab, welche Rolle die Fernsehersender Al Jazeera und Al Arabija in diesem Konpflikt spielen.

    Wenn wir dem Staatsfernseher SANA Propaganda für die syrische Regierung und den Präsidenten vorwerfen, so sehe ich die genannten Fernsehersender eher in einer dunkeleren Ecke.

     

    siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Al-Dschasira

    Man muss wissen, wer der Chef des genannten Senders ist.

     

    zu Al Arabija gilt dasselbe: http://de.wikipedia.org/wiki/Al_Arabija

     

    Soweit zu den glaubwürdigsten Sender im Rahmen des Syrien-Konflikt.

  • A
    Ant-iPod

    In der SZ steht folgendes Zitat:

     

    "Ich gebe hiermit bekannt, dass ich mich vom mörderischen und terroristischen Regime abgewandt und mich der Revolution der Freiheit und Würde angeschlossen habe".

    Riyad Hijab 06.08.2012

     

    Link:

    http://www.sueddeutsche.de/politik/krieg-in-syrien-assads-premier-laeuft-zur-opposition-ueber-1.1433049

     

    Der Mann war vorher schon Landwirtschaftsminister und langjähriges Mitglied der Al-Baath Partei.

    Deswegen traue ich ihm eine gewisse Einsicht in das Regime, dessen Teil er gewesen ist, durchaus zu.

     

    Seine Formulierung ist dabei aufschlussreich, denn er hätte ja auch einfach nur gehen können, ohne eine derart drastische Wertung abzugeben.

  • TH
    Thomas H

    Allein seit etwa 13 Uhr am heutigen Montag gibt es aus arabischen, russischen und türkischen Quellen folgende aktuelle Informationen zur Syrienkrise:

     

    Die Flucht des syrischen Finanzministers Mohammad Jlailati wurde von Assads Schergen verhindert, der Minister wurde gefangengenommen und an einen unbekannten Ort verschleppt.

     

    Der nach Jordanien geflüchtete bisherige syrische Premierminister Riad Hijab beschuldigt Assad des "Völkermords" und stellt sich der Opposition zur Verfügung.

     

    Ein weiterer Brigadegeneral, mehrere hohe Offiziere der syrischen Armee und etwa 30 syrische Soldaten sind heute in die Türkei desertiert und haben sich der syrischen Opposition angeschlossen.

     

    Quellen:

    An-Nahar

    Al Arabiya

    RIA Novosti

    Hurriyet dailynews

    TheDailyStar (Beirut)

  • A
    Ant-iPod

    Es scheint ja mehr und mehr Panik unter den Granden des Despoten-Regimes auszubrechen.

    Die schiere Zahl an Überläufern sind mittlerweile eine Aussage in sich selbst.

     

    Was muss eigentlich noch geschehen, damit endlich politisch auf die Situation reagiert wird und nicht nur militärisch?

     

    Assad kann doch nicht allen ernstes bei Betrachtung der vergangenen 6 Monate glauben, dass er den Kampf nur mit Gewalt gewinnen kann?

    Wo bleiben seine politischen Antworten auf die Situation im Land?

     

    Einen Ver"h"öhnungsminister zu ernennen und eine Fake-Verfassung und Fake-Wahl abzuhalten und die echte, zivile Opposition im In- und Ausland von den Verhandlungsangeboten auszuschließen, hat sich ja nicht gerade de-eskalierend ausgewirkt.

     

    Müssen wirklich erst die radikalen Kräfte durch eine lange Krise stark gemacht werden, die wir doch eigentlich alle ablehnen?

    Müssen wirklich noch mehr Syrer sterben, weil ein Diktator nicht bereit ist Land und Volk über seine Person zu stellen?

  • NK
    Neuer Kunde

    Erleben die Anhänger Obamas jetzt ein neues Stalingrad?

     

    Die TAZ-Leser, für ihre Geduld und Leidensfähigkeit bekannt, werden weiter auf die Folter gespannt.

  • F
    Fritz

    Anarchie kann niemand verhindern. Wir erinnern uns an Teppichmesser. Heisst nichts.