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Bürgerkrieg in LibyenBabymilch und Kämpfer für Misrata

Die Rebellen in Bengasi versuchen, die belagerte Stadt Misrata mit Booten zu versorgen. Dort fehlt es an allem – Decken, Lebensmitteln, Waffen. Drei Tage dauert die riskante Überfahrt.

Auch in Istanbul werden Schiffe mit Hilfslieferungen für Misrata gepackt. Bild: reuters

MISRATA afp | Aus dem knackenden Bordfunk ist plötzlich eine Frauenstimme zu hören: "Hier NATO-Kriegsschiff - unter welcher Flagge fahren Sie?" Abdelfatah überlegt kurz, dann antwortet er in gebrochenem Englisch: "Revolution, libysche Revolution". Seit drei Tagen ist er mit seinem alten Fischerboot auf dem Weg von Bengasi nach Misrata. Er bringt den Menschen der von Gaddafis Truppen belagerten Stadt alles, was sie brauchen: Säuglingsmilch, Decken, Matratzen, aber auch Maschinenpistolen, MGs, Panzerfäuste, Munition und 38 freiwillige Kämpfer. Sie wollen helfen, die belagerte Stadt zu befreien.

Langsam nähert sich der alte Kutter "Karuba" dem Hafen von Misrata. Seit fast schon zwei Monaten wehren sich die Aufständischen dort gegen die Truppen des libyschen Machthabers Muammar el Gaddafi, nur über das Meer können sie deren Blockade überwinden. Inzwischen treffen regelmäßig Schiffe mit Nachschub aus Bengasi ein, der Hauptstadt des Aufstands - eine nicht ungefährliche Überfahrt.

Die meisten der freiwilligen Kämpfer auf der "Karuba" sind militärische Neulinge. In ihrem zivilen Leben waren sie Maschinenbau-Ingenieure wie Abdelsalam, Studenten wie Dschallad, Banker oder Informatiker. Sie kommen aus dem schon immer Gaddafi-feindlichen Osten Libyens, viele stammen aus Misrata.

Wie etwa Abdelsalam, der ebenso wie die anderen Kutter-Passagiere nur seinen Vornamen nennen will: Normalerweise ist er zur Verteidigung von Misratas Hafen abgestellt - die Reise nach Bengasi trat er nur an, um seine Frau und seine Kinder in Sicherheit zu bringen. Dort half er bei der Beschaffung der Waffen. "Vom Übergangsrat bekamen wir alle Munition, die wir brauchten. Einwohner schenkten uns Waffen - manche allerdings wollten dafür Geld", erzählt er.

Angst und Stolz

Das Geld dafür haben sie in Misrata und Bengasi gesammelt. Viele Einwohner spendeten freiwillig, wie auch Dschallads Familie. "Zwei Wochen habe ich im Hafen von Bengasi auf ein Schiff gewartet, das mich nach Misrata bringt", erzählt der 25-Jährige: "Meine Familie hat Angst, aber gleichzeitig ist sie stolz darauf, dass ich mich am heiligen Krieg gegen Gaddafis Söldner beteilige. Sie haben meine Waffen gekauft." Dschallads Kollege Abdelkader gibt sich ebenso entschlossen. "Gaddafis Soldaten schlachten unsere Familien ab, wir müssen sie bekämpfen, sagt der 28-Jährige, dessen Angehörige in Misrata leben. In Bengasi gebe es viele Waffen, erzählt er dann noch, "in Misrata fehlen sie uns an allen Ecken und Enden".

Mit den Geldspenden kauften die Passagiere der "Karuba" nicht nur Waffen und Munition, sondern auch Satelliten-Telefone und Funkgeräte - alle Netze in der belagerten Stadt sind gekappt, nur so können sie Verbindung halten.

Jagdbomber am Himmel

Obwohl die libyschen Küstengewässer von den Kriegsschiffen der Nato überwacht werden, leben die Kämpfer gegen Gaddafis Blockadestrategie gefährlich: Plötzlich nähert sich eine Fregatte der türkischen Marine, nimmt Funktkontakt auf, zieht wieder ab. Am Himmel ist ein Tankflugzeug zu sehen mit zwei Jagdbombern im Schlepptau.

Kapitän Abdelfatah lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Lässig steuert der vor Jahren zum Fischer konvertierte ehemalige Marineoffizier seinen alten Kutter mit den Füßen, den Blick stets auf den Kompass gerichtet. Der weiblichen Stimme aus dem Bordfunk versichert er in seinem gebrochenen Englisch, er habe nur "Nachschub für die Menschen in Misrata" an Bord. "Okay, Karuba. Stand by", antwortet die Stimme - und meldet sich dann nach kurzer Zeit zurück: "Karuba, Sie können Misrata anlaufen".

Zwei Stunden später legt Abdelfatahs Boot am gespenstisch leeren Kai an. Wie aus dem Nichts rasen mehrere Pritschenwagen heran, man umarmt und begrüßt sich. Zwei Lastwagen kommen, mehrere grüne Container werden aufgeladen. Die Mission ist geglückt - für dieses Mal.

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3 Kommentare

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  • M
    moon

    "Viele Einwohner spendeten freiwillig, wie auch Dschallads Familie."

     

    Heißt das jetzt, dass die anderen unfreiwillig "spendeten"?

  • M
    Marcus

    Netter Bericht über einen Verstoß gegen das UN Waffenembargo. Solte Gadfis Militär doch mal so ein Schiff vrsenken wird er natürlich von allen für das Versenken eines "Hielfsschiffes" Verurteilt. Als Blockadebrecher dürft es zwar nicht Versenkt sondern "nur" gekapert werden, doch ist es in diesem Fall noch nicht mal als Zivielschiff zu betrachten. Durch die Beföderung von Waffen und Militärischen Personal ist es zumindest als ein Militärischer Transporter einzuschätzen, bei großzügigerer Außlegung sogar als Kriegsschiff.

    Nun könnte man sagen ist doch egal Gadafi mus eh weg. Hier liegt aber das Problem darin dass der geschützte Status echter zivieler Hielfsschiffe ausgenutzt wird und diese dadurch zusätzlich gefärdet werden. Und die Regelund das Munitions- und Waffentransporte im Krieg ein Legetimes Ziel darstellen ist auch nicht sonderlich neu.

  • JO
    Jürgen Orlok

    "Säuglingsmilch, Decken, Matratzen, aber auch Maschinenpistolen, MGs, Panzerfäuste, Munition und 38 freiwillige Kämpfer. Sie wollen helfen, die belagerte Stadt zu befreien. "

     

    Verstoß gegen UN-Res1973 !!!!!!!!!!!

    Doch wen schert schon Recht ...

    Es lebe die Gewalt !!!