Bürger gegen Flüchtlinge in Berlin: „Recht auf Asyl wird infrage gestellt“
Am Montag demonstrieren wieder Rechte gegen ein geplantes Flüchtlingsheim in Marzahn. Man hätte die Bürger besser informieren sollen, sagt Björn Tielebein.
taz: Herr Tielebein, seit Wochen wird in Marzahn gegen die geplante Asylbewerberunterkunft protestiert. Heute soll bereits die sechste der sogenannten Montagsdemonstrationen stattfinden. Wer geht da auf die Straße?
Björn Tielebein: Angemeldet und organisiert werden diese Demonstrationen von bekannten Neonazis aus Marzahn und aus anderen Gegenden Berlins. Unter den Teilnehmern sind allerdings auch nicht politisch organisierte Marzahner Bürger, hauptsächlich junge Leute unter 35 Jahren. Die treten teils auch ohne rechten Dresscode auf und teilen möglicherweise nicht komplett die Ideologie der Neonazis, sondern werden von dem Eventcharakter der Veranstaltungen angezogen.
31, ist Fraktionsvorsitzender
der Linkspartei in Marzahn-Hellersdorf.
Worum geht es bei den Demonstrationen?
Wenn ich mir diese Veranstaltungen anschaue, und das habe ich die letzten Wochen über getan, dann kann ich nicht erkennen, dass es hier nur um die Ablehnung des Standorts einer Flüchtlingsunterkunft geht. Diese Frage ist höchstens der Aufhänger für die Demonstrationen. In Redebeiträgen und Sprechchören wird aber grundsätzlich das Recht auf Asyl infrage gestellt und nicht nur gegen Migranten gehetzt. Wer da mitmacht, muss sich schon fragen lassen, warum er in diese Neonazi-Propaganda mit einstimmt – auch wenn er sich selbst vielleicht nicht als Neonazi bezeichnen würde.
In Hellersdorf gab es im vergangenen Sommer ebenfalls heftige Proteste gegen eine neue Flüchtlingsunterkunft, auch dort haben organisierte Neonazis das Thema zur Mobilisierung genutzt. Hätte der Bezirk mit dieser Erfahrung nicht versuchen können, den aktuellen Protesten von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen?
Dafür ist es wichtig, dass der Bezirk die Informationshoheit zu diesem Thema hat. Dass er die Bürger von sich aus informieren kann, statt nur defensiv auf Gerüchte reagieren zu müssen.
Das war hier der Fall?
Der Senat hat die Standorte leider nicht frühzeitig an die Bezirke kommuniziert, sondern die vollendeten Tatsachen in der Presse verkündet. Mit dieser Strategie wurde eine gute Informationspolitik sehr erschwert. Selbst die Stadtteilzentren, die im Konzept des Senats im Bezirk zu den Unterkünften informieren sollen und dafür ja auch finanzielle Unterstützung bekommen, haben erst aus der Zeitung von dieser Aufgabe erfahren. So war es auch nicht möglich, im Vorfeld einen Unterstützungskreis im Stadtteil aufzubauen.
Auch wenn der Senat erst spät informiert hat: Dass Marzahn-Hellersdorf als Standort infrage kommt, war bekannt. Und dass es in diesem Falle Proteste geben könnte, auch.
Das stimmt, und da hat es teilweise auch vonseiten des Bezirks Versäumnisse gegeben. Ich frage mich zum Beispiel, warum wir der rechten Mobilisierung im Internet, die ja schon im letzten Sommer ein Thema war, nicht ein eigenes Informationsangebot, eine eigene Internetplattform entgegensetzen. Das hätte längst geschehen müssen. Wir haben jetzt seit zwei Wochen eine parteiübergreifende Arbeitsgruppe zu den Protesten. Das freut mich sehr, diese Arbeitsgruppe hätte aber auch schon früher einberufen werden können.
Welche Aufgaben sehen Sie jetzt in der aktuellen Situation für den Bezirk?
Was die Demonstrationen angeht, ist es wichtig, dass der Bezirk offensiver rechtsextreme Strukturen bekämpft und dass der Gegenprotest von allen demokratischen Parteien getragen wird. Als weitere Baustelle sehe ich die schon angesprochene Informationspolitik: Hier haben sich zum Beispiel die Dialogrunden, also kleinere Gesprächskreise mit eingeladenen Anwohnern, bewährt. Die sollten dringend wieder einberufen werden. Langfristig ist allerdings noch etwas anderes wichtig: Wir müssen uns intensiver mit dem Thema Asyl beschäftigen, denn das wird uns in den nächsten Jahren noch öfter begegnen. Sich hier nur von einer Standortdiskussion zu nächsten zu hangeln halte ich für nicht zielführend.
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