: Bürger, Proleten und Polente
Historisches Kaleidoskop oder Zinnteller-Chaos? Wer sich mit der Geschichte Berlins befassen will, muss ins Märkische Museum. Doch hier kommt unsere hippe Stadt ziemlich verkniestert daher. Kurz vor dem 100-Jährigen soll alles besser werden
von JAN ROSENKRANZ
Vielleicht hätte man beim Bärenzwinger bleiben sollen. Die Sonne lacht, die Bären winken und die Pflegerin Frau Kutzner wift mit Honigbrot nach ihnen. Die Welt ist schön, nachmittags im Köllnischen Park in Mitte. Durch die Bäume ragt dieser markante rote Backsteinturm in den Himmel, der, der an den Ratzeburger Dom erinnert und daran, dass man ins Märkische Museum muss. Wer Käse mag, wird Frigo lieben, sagt die Werbung. Wer Museen nicht mag, wird dieses hassen, sagt der Kulturbanause.
Groß und mächtig steht es da, ein Konglomerat aus Norddeutscher Gotik und Renaissance, eines der bedeutendsten Denkmäler europäischer Museumsarchitektur – das Märkische Museum zur Geschichte Berlins, Stammhaus der „Stiftung Stadtmuseum Berlin“. Zwischen 1899 und 1908 von Stadtrat Ludwig Hoffmann errichtet, als spätes Meisterwerk.
Vor der Tür wacht der Roland oder besser eine Kopie aus dem Jahre 1905 des echten Brandenburger Rolands von 1474 – und verschreckt die Besucher. Viele sind jedenfalls nicht gekommen an diesem Nachmittag, um von dutzenden Wärteraugen träge bewacht durch die 49 Räume, drei Etagen und 3.000 Quadratmeter zu lustwandeln.
Statt eines Besuchs erwartet sie eine Irrfahrt durch die vornehmlich uralte Geschichte Berlins. Wer den „Rundgang“-Schildern folgt, hat schon nach wenigen Minuten den Überblick verloren – inhaltlich und Museums-geografisch. Man schleicht allein umher zwischen Vitrinen voller Zinnteller, staubiger Modelle slawischer Siedlungen und sonstigen Mobiliars.
Statt eines Überblicks gibt es Themenräume, neue und alte, große und kleine, dunkle und ganz dunkle und fuzzylogisch aufgereiht. War man eben noch im „Waffensaal“, jüngst rundum erneuert und voller Musketen, führt der Weg in einen Flur mit Siegelstempeln und -ketten aller Zeiten, bevor es dann im nächsten Raum musikalisch wird. Da stapeln sich stumme Drehorgeln und grabesstille Automatophone; nur wer fragt, erfährt: Sonntags um drei gibt’s hier Musik.
Also irrlichtert man weiter in die nächste Kemenate und erfährt, dass die Berliner Tuchmacher Ende des 18. Jahrhunderts ein Mottenfest! begingen und denkt unweigerlich an Kastanien. Doch ach, egal, ob Motten-, Schützen- oder Fliegenfest, stets endete die Feierei in Prügelei und Ausschreitungen. Zur Anschauung liegen hier in der Vitrine: Glanzzylinder, Mütze und Pickelhaube. Ein gefährliches Gebräu: Bürger, Proleten und Polente. Man weiß es nicht, man mutmaßt nur, denn viel erklärt wird nicht.
Audio-Führungen sind eine prima Sache. Hier gibt es leider keine. Dabei hatte sich der frühere Museumsdirektor Walter Stengel (1925–1952) etwas Besonderes einfallen lassen. Er selbst besprach Schallplatten mit Informationen zu den Exponaten. Besucher schoben dann mit Plattenspielern bestückte Teewägelchen durch das Museum. Wäre heute vielleicht ein größerer Publikumsmagnet als das Kaiserpanorama von vor 1900. Niemand mag durch die Gucklöcher auf zeitgenössische Stereobilder schauen, obwohl das 25 Besucher zeitgleich könnten. Kaum jemand interessiert sich für den „Zunftsaal“ mit Fahnen und die „Gotische Kappelle“ mit alten Reliquien. Verwaist ist auch die frisch renovierte „Große Halle“ mit dem Kreuzrippengewölbe und der Glocke aus dem 15. Jahrhundert in der Mitte, dem Fontane-Denkmal von 1910 in der Ecke und an der Wand dem Ölgemälde vom Potsdamer Platz mit Fernsehturm und roten Kränen.
Still ruht der See. Es ist so sinnentleerend.
Sicher, es wird bald umfassend renoviert, das Märkische Museum, auf dass es im Jahre 2008 zum 100sten in altem Glanz erstrahle. Doch bis dahin verliert man das letzte bisschen Stolz auf seine Stadt und muss lange suchen, um ihn wiederzufinden. Etwa im Keller, wo man erfährt, dass Kurfürst Friedrich II. gestern vor 660 Jahren den Grundstein für das Stadtschloss legte – eine Zwingburg, die hier keiner wollte. Der Widerstand loderte alsbald auf, bis die Berliner den Rohbau fluteten. Geholfen hat es leider nichts. 1451 war das Schloss fertig. Ach, wäre man doch bei den Bären geblieben.