Büchner-Preisträgerin Hoppes neuer Roman: Was ist hier schon echt?

Die Neuerfindung des eigenen Lebens als Roman: Felicitas Hoppe, die neue Georg-Büchner-Preisträgerin, hat mit „Hoppe“ eine Traumbiografie geschrieben.

Felicitas Hoppe: die diesjährige Büchnerpreisträgerin. Bild: imago/Star-Media

Hoppe, um es mit Rimbaud zu sagen, ist eine Andere. Man kann dieses Buch nur konsequent nennen. Denn was tut jemand, der sich vornimmt, seine Autobiografie zu schreiben? Richtig - er lügt wie gedruckt.

Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe, mit Recht als eine der klügsten und einfallsreichsten der Gegenwart gelobt und gerade mit dem Büchnerpreis ausgezeichnet, geht in ihrem neuen Roman mindestens einen Schritt weiter. Sie retuschiert nicht hier und da ein wenig, sie vertuscht und beschönigt nicht: Hoppe erfindet sich und ihre Traumbiografie noch einmal ganz neu.

„Hoppe“ heißt der Roman; Hoppe heißt die Hauptfigur; mit Anmerkungen versehen wird der Text von einer übergeordneten, im Nachhinein kommentierenden Instanz, die mit dem Kürzel „fh“ zeichnet und die sich in Leben und Werk der echten Felicitas Hoppe bestens auszukennen scheint.

Felicitas Hoppe: „Hoppe“. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012, 332 Seiten, 19,99 Euro

Andererseits: Was ist hier schon echt? Der Reiz von „Hoppe“ liegt, neben der Entdeckung der nahezu unendlichen Vielzahl sprachlicher Möglichkeiten, die Felicitas Hoppe zur Verfügung stehen, vor allem darin, keine Unterscheidung zu treffen zwischen Fiktion und Wirklichkeit, weil der Roman selbst ja exakt in diese Schnittstelle hinein platziert ist. „Felicitas Hoppe, *22. 12. 1960 in Hameln, ist eine deutsche Schriftstellerin.“

Beschreibung unmöglich

Der Wikipedia-Eintrag ist dem Roman vorangestellt. Das stimmt schon einmal, aber sonst? Hoppe wird im Alter von sechs Jahren von ihrem „Erfindervater“, einem Patentagenten, nach Kanada entführt, wo sie in der vielköpfigen Familie des gleichaltrigen späteren Eishockeysuperstars Wayne Gretzky Aufnahme findet und sowohl ihn als auch das Eis lieben lernt. Es folgen eine Schiffsreise nach Australien, eine Pubertät in Adelaide und der Beginn einer Musiker- und Schriftstellerkarriere.

So motivreich und so tief eingearbeitet in die Literaturgeschichte und in das Werk von Felicitas Hoppe selbst ist „Hoppe“, dass es jede Beschreibung nahezu unmöglich macht. Die Sage vom Rattenfänger von Hameln und die Geschichte von Pinocchio, die mittelalterlichen Abenteuer- und Rittergeschichten und nicht zuletzt die Prosaarbeiten einer Schriftstellerin namens Felicitas Hoppe bilden ein Spiegelkabinett, in dem man kaum zur Ruhe kommt.

Die Philologie in eigener Sache kennt keine Grenzen. „Ein Kind für Ideen“, sei diese Felicitas gewesen, so heißt es, und so ist hier alles Einfall und Vorstellung; jeder Einfall gebiert einen neuen.

Ausufernde Fantasien

Wo sich ein doppelter Boden auftut, tut sich garantiert kurz darauf ein weiterer auf, bis es fünf, sechs oder sieben sind. „Hoppe“ stellt das eigene Entstehungsverfahren und damit auch die Poetologie der Schriftstellerin Hoppe permanent aus: „Hoppes Unterschlagung überprüfbarer Fakten dient einzig der Ausformung ausufernder Fantasien, wie sie ihr gesamtes Werk prägen.“

Diesen Fantasien sind im Roman die im schönsten (also verschwurbelsten) Germanisten- und Rezensentendeutsch verfassten Abhandlungen entgegengesetzt (die Verfasser sind fiktiv, versteht sich), die gegen den unbegrenzten Ideenkosmos Einwände zu erheben haben.

Ein Gewirr von Behauptungen und Tatsachen, Stimmen und Gegenstimmen. Von verqueren und skurrilen Figuren, sei es Joey, der blinde australische Cricketspieler, dem Felicitas ihren ersten Kuss verdankt; sei es der auf seiner Australienreise verschollene Ludwig Leichhardt. Den gab es ausnahmsweise wirklich.

Aber, das darf man bei all der Freude über den literarischen Wirbel, der hier entfacht wird, und über das prächtige Fabulieren, nicht vergessen: Inmitten all dessen steht ein Mensch. Nicht ganz ohne Grund hat Felicitas Hoppe in einem Gespräch darauf hingewiesen, dass sie bei dem Versuch, sich ein lustiges Leben zu erfinden, bemerkt habe, dass ihr reales Leben weitaus lustiger verlaufen sei. Felicitas ist, aus Erwachsenensicht, ein anstrengendes Kind.

Echte Gefühle

Sie liebt die großen Auftritte, sie macht kein Hehl aus ihrem prätentiösen Wesen. Hinter der Gegenwelt, der permanenten Imagination verbergen sich Gefühle wie Einsamkeit, Traurigkeit, Heimweh und Sehnsucht.

„Schon früh neigt Hoppe zu einer so naiven wie doppelbödigen Form des Selbstlobs, das sie immer wieder durch leichte Ironie zu konterkarieren versucht, was kaum darüber hinwegtäuscht, wie sehr sich Felicitas nach Anerkennung sehnte und wie sehr sie sich davor fürchtete, an ihren eigenen Ansprüchen zu scheitern.“

In solchen Momenten kommen Zeichen und Bezeichnetes in Deckungsgleichheit. Man mag das ein wenig kokett finden und würde darüber übersehen, dass, so paradox es scheinen mag, ausgerechnet Hoppe in „Hoppe“, einem Roman, wie man ihn in seiner Erfindungsstärke lange nicht mehr lesen konnte, ganz besonders raffiniert davon erzählt, wovon Literatur immer erzählen sollte: „Nicht zu vergessen, woher ich komme und wer ich einmal gewesen bin.“

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