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■ Bücher.kleinGute Wut

Zornige Männer sind heutzutage rar. Die 68er beherrschen den Diskursorbit auf gepflegte Weise. Da muß also ein unwürdiger Greis ran: „Links und lahm“, „Rechts und dumm?“ – so wüten zur Zeit zwei plakative Buchtitel von Gerhard Zwerenz. Der bald 70jährige sucht darin grollend auf dem „Abfallhaufen der Geschichte“ nach Linken, die sich nicht „vom Selbsthaß getrieben gewendet haben“. Finger weg vom Patriotismus, empfiehlt Zwerenz: „Eine Linke, die mit den Worthülsen Heimat, Nation, Volk hausieren geht, gibt Geist und Seele auf.“ Und: „Der Stolz auf Deutschland ist das Bekenntnis zum Einzel- und Massenmord.“

Doch der Wut folgt eine fast komische Vision. Rettung bringen soll in der nach rechts gerückten Republik die SPD, genauer gesagt ihre Basis, die Ortsvereine: „Es kommt drauf an, den Sozis Beine zu machen, nicht damit sie davonlaufen, aber damit sie standhalten und eine zur antinazistischen Militanz bereite Vernunftfront bilden.“ Volksfront aus der Baracke? Militant? Bei soviel Hoffnung in Scharping-Zeiten wird Zwerenz schon etwas schummrig. Weshalb er gleich einräumt, daß, wer die SPD erneuern wolle, „zuerst deren inneren Horror davor überwinden muß“. Derart viel Energie aufzubringen, meint er, „schaffen vielleicht nur die Frauen“. Ein verzweifelter Pensionär läßt auch mal die Mädels ran.

Zu großer Form allerdings läuft der Weltkriegsdeserteur, frühe DDR-Oppositionelle und standhafte BRD- Linke auf, wenn es gegen die intellektuellen Überläufer (West) und die FAZ-Bürgerrechtler geht: So sei für Bärbel Bohley, so der alte Sachse, „auch Martin Niemöller nur ein Moskau- Freund und Opportunist“. Biermann wird als „Hooligan der deutschen Dichtung“ abgemeiert, der Auschwitz mit „50 Millionen Opfern des Stalinismus“ vergleiche – und Botho Strauß als „rechter Sehnsuchtswandervogel“. Ohne diese schönen „Stellen“ wären diese schnellgeschriebenen Bücher schwer erträglich. Zu geschwätzig, fast tagebuchmäßig kommen sie daher. Und ähneln so ein bißchen den letzten publizistischen Schnellschüssen des Karl Eduard von Schnitzler. Doch wo von Schnitzler ein eitler Zyniker ist, bleibt Zwerenz Utopist – und lesbar. kotte

„Links und lahm“. Carlsen, Hamburg 1994, 261 S., 29,90 DM; „Rechts und dumm?“. a.a.O. 1993, 128 S., 20 DM

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