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Bücher für RandgruppenDie letzte Laysanralle

■ Evolutionäre Rülpser in inselbiogeographischer Perspektive

Acht Jahre reiste der englische Schriftsteller David Quammen um die Welt, um gefährdete Tiere zu besuchen. Vornehmlich Inseln galt sein Interesse, denn hier, in diesen Mikrokosmen, lassen sich wie unter dem Brennglas evolutionäre Prozesse deutlich beobachten. Quammen nennt die Inselwelten Zufluchtsorte und Brutstätten des Einzigartigen und Abnormen. Hier kann die Evolution so richtig loslegen und Geschöpfe kreieren, die anderswo kaum Chancen auf ein Überleben hätten: den harmlosen tolpatschigen Dodo von Mauritius, den neuseeländischen Riesenstrauß Moa oder den gefräßigen Komodowaran.

Leider sind die Resultate dieser Experimente besonders anfällig für Veränderungen ihres ohnehin beschränkten Lebensraumes. Werden die einzelnen Teile zu klein, durch intensive Landwirtschaft, durch Rodung und Zersiedlung, ist das Überleben der Arten nicht mehr gesichert. Die Reise durch die Inselwelten, zu Guadeloupe-Goldspecht, Borstenigel und Paradiesvögeln auf Aru, verknüpft der Autor mit der Beschreibung des Konkurrenzkampfes um die Entdeckung der Evolutionstheorie. Der eigenwillige Autodidakt Alfred Russel Wallace scheint dabei Quammen näherzustehen als der clevere Charles Darwin, der, so müssen wir erfahren, die Bedeutung seiner berühmten Finken lange Zeit gar nicht erkannt hatte: Er hatte die Finkenarten der Galapagos noch nicht einmal nach Inseln sortiert.

Inselbiogeographie heißt die junge Disziplin, die sich wie ein roter Faden durch den 974-Seiten-Wälzer zieht. Unterhaltsam und kurzweilig verbinden sich Reisereportage, Zänkerei unter Wissenschaftlern und Lehrbericht zu einer spannenden, aufregenden Geschichte. Ja, Freude kommt auf, wenn zu hören ist, daß die Population des Falco punctatus, des Mauritiusfalken, dank eines Hilfsprogramms von sechs Exemplaren wieder auf über 200 angestiegen ist. Die zuweilen auftauchenden Lockerheiten – „12.000 Jahre sind evolutionsgeschichtlich gesehen nicht mehr wie ein Rülpser“ – sind möglicherweise ein Tribut an die größere Leserschaft, handelt es sich doch um ein populärwissenschaftliches Sachbuch. Und etwas Oberfläche ist ja auch gar nicht schlecht.

Aber daß der Weltumsegler Pigafetta die von ihm beschriebenen Pinguine „schwerlich mit irgend etwas verwechseln konnte“, wie Quammen meint, ist natürlich großer Unsinn. Tatsächlich sind Pinguine zu ihrem Namen aufgrund einer Verwechslung gekommen: „Pinguinus“, der Fette, lautete nämlich ursprünglich der Name des 1844 auf Island ausgerotteten Riesenalken, eines flugunfähigen Alkenvogels, der große Ähnlichkeiten mit dem Pinguin der Südhalbkugel besitzt. Sein Verwandter, der Tordalk, wird noch heute auf französisch „le petit pingouin“ genannt. Portugiesische Seefahrer, die zahlreiche hochaufgerichtete, flugunfähige Vögel in antarktischen Gewässern erblickten, dachten, sie hätten große Populationen des arktischen Riesenalks, also des Pinguinus, entdeckt.

Präzise Informationen über die letzten Minuten im Leben der letzten Riesenalken, über Klangäußerungen des Hawaii- Kreuzschwanzes, das Verhalten der Dieffenbachralle und weiterer 135 in den letzten 400 Jahren ausgestorbener Vogelarten vermittelt Dieter Luthers „Die ausgestorbenen Vögel der Welt“, ein hervorragendes wissenschaftliches Werk, die ideale Ergänzung zum dicken Dodobuch. Leider sind die Buchstaben der Publikation etwas schwach gedruckt und die Fotos etwas matschig. Mit besserem Layout könnte das Buch zum Standardwerk jedes Vogelfreundes werden. Wolfgang Müller

David Quammen: „Der Gesang des Dodo“. Claassen Verlag, München 1998, 974 Seiten, 78 DM

Dieter Luther: „Die ausgestorbenen Vögel der Welt“. Spektrum Akademischer Verlag, 204 Seiten, 44 DM

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