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■ Bücher, Frankfurt, etc.Gedichte, nicht einmal besonders peinlich

Eigentlich ist alles wie immer: An 6.332 Ständen aus 105 Ländern warten 321.975 Buchtitel auf 131.408 Quadratmetern darauf, von einer Viertel Million Besucher angeguckt zu werden. Hastige Menschen rennen selbst noch auf den Laufbändern. In den Hallen trifft man alte Bekannte. Die meisten Verlage schicken immer die gleichen Standbetreuer. Einige haben sich verändert.

Die einen sind aus dem Subproletariat des Literaturbetriebs aufgestiegen und tragen plötzlich stolz unauffällig-teure Klamotten durch die Gegend, andre sind grau geworden übers Jahr oder strafen mit immer röteren Gesichtern das neulich im Rundfunk gehörte Verlegerstatement Lügen, daß der Verleger auf der Messe sich von Obst und gesunden Säften nähre.

Zwei junge Polizisten schauen manisch auf 3-D-Bilder. Sie suchen nach in Wäldern versteckten nackten Frauenbrüsten und holen sich dabei lustig-rote Augen.

Noch reizüberfluteter als die neugierigen Wachtmeister schwankt man von einem Stand zum anderen und denkt dabei wehmütig an die sympathisch- hoffnungsvollen Worte, die der Schriftsteller Christof Hein in seiner Eröffnungsrede sprach: „Literatur stiftet Identität [...], die in einer effizienten Technokratie verhindert werden muß, da sie die Disponibilität des Menschen einschränkt.“ Der Literaturmarkt – in diesem Jahr übrigens von dem „ersten Theodor W. Adorno Ähnlichkeitswettbewerb“ der Titanic begleitet – stiftet diese Identität (was immer das sei) sicher nicht oder zerstreut sie wieder – macht ja auch nichts.

Zumal das streng gesicherte Messegelände durchaus seine Lücken hat: Man klettert auf einen Baum, springt über einen Zaun, und schon ist man in einem traulichen Geschäft und kann sich mit der Inhaberin über die da drinnen unterhalten.

Der Rest verläßt das Gelände gegen Abend, um sich in Literaturhäusern und anderen Institutionen „die Schreibe, Spreche und Denke“ (Menschen Machen Medien, 8/94) diverser AutorInnen anzuschauen.

Am besten kamen bislang die zahlreichen Veranstaltungen der brasilianischen SchriftstellerInnen beim Publikum an. Unvergessen die brasilianische Nacht am Mittwoch, bei der selbst deutsche Kulturträger begeistert auf den Tischen tanzten. Kurz wurde das wilde Treiben nur unterbrochen, als drei jung vergreiste Kulturfunktionäre aus Österreich ungeschickt die außerolympische Flamme des Geistes übernehmen wollten, „weil wir als Österreicher im nächsten Jahr den Schwerpunkt der Messe bilden dürfen“.

Unter dem Motto „Großstadtporträts“ lasen am Donnerstag Chico Buarque, Ignacio de Loyola, Brandao, Ferreira Gullar, Lygia Fagundes Telles unter der Moderation von Jörg Drews im Literaturhaus. Es war wieder proppenvoll, die Besucher stapelten sich bis vors Haus. Die große brasilianische oder zumindest portugiesisch sprechende Gemeinde amüsierte sich köstlich. Sehen konnten die DichterInnen nur wenige. Dafür hörte man Gedichte, die ausnahmsweise mal nicht peinlich wirkten; Geschichten aus Städten, nach denen man sich beim Hören sehnte. Dazwischen Gitarren.

Der bärtige Kleinverleger Fedja Müller (éditions trèves) war begeistert. Er ist es schon seit Beginn der Messe, denn da hatte er zwei brasilianische Übersetzer getroffen, mit denen er schon beim brasilianischen Juristentag zusammengearbeitet hatte. „G. B. S.“ (nach Shaw) hieß der eine. Am ersten Tag, erzählt er, wäre es bei den Übersetzern noch hoch hergegangen, ein Caipirinha hätte den nächsten gejagt. Danach hätten sie nur noch Apfelsaft getrunken, denn es gab viel zu tun – einige brasilianische Verlage hätten die brasilianischen Manuskripte zu Haus vergessen gehabt.

So mußten ein paar Texte aus den deutschen Übersetzungen wieder zurück ins Portugiesische übersetzt werden, damit sie im „Original“ vorgetragen werden konnten, auf die wieder die deutsche „Übersetzung“ folgte. Detlef Kuhlbrodt

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