Budget für Behinderte: Der eigene Chef sein
Behinderte sollen entscheiden, wer sie zur Arbeit begleitet oder bei Hausputz hilft. Jetzt können sie Geld für Betreuung selbst verwalten.
BERLIN taz Es ist ein sperriges Anliegen, mit dem Karin Evers-Meyer seit Montag durch die Säle der Republik reist. "Budget-Tour" nennt die SPD-Politikerin ihren Trip. Dabei will sie für ein Angebot werben, das umfassend erprobt ist - aber wenig genutzt wird: das persönliche Budget für Behinderte.
"Früher wurden die Menschen gar nicht gefragt. Jetzt sollen sie selbst bestimmen", sagt die "Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen". Der Betreute soll künftig selbst auswählen, wer ihn zum Arbeitsplatz begleitet, welchen Sportkurs er besuchen will oder welche Person ihm zu Hause beim Wohnungputzen hilft.
Nach dem herkömmlichen Modell erhalten Behinderte vor allem Sach- und Dienstleistungen. Beim neuen Budget-Modell dagegen bekommt der Betroffene Geld, das er zweckgebunden ausgeben muss. Das Angebot ist freiwillig und kann auch nur für Teilleistungen gewählt werden.
Der Idee nach soll es aus Empfängern Kunden machen: Auf einmal ist der Behinderte Käufer, vielleicht sogar Arbeitgeber. "Wenn jemand eine Nachbarin hat, mit der er sich gut versteht, könnte er die als Minijobberin einstellen", sagt Melanie Fritz vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.
Schon jetzt können die Budgets deutschlandweit beantragt werden. Allerdings können die Träger bislang noch selbst entscheiden, ob sie eine Leistung als Budget bewilligen oder nicht. Ab Januar 2008 entfällt die Wahl: Dann hat jeder Betroffene einen Rechtsanspruch auf ein persönliches Budget.
Mehr Geld als bisher erhält er allerdings nicht: "Das persönliche Budget soll die Höhe der Kosten aller bisher individuell festgestellten Leistungen nicht überschreiten", heißt es in einer Infobroschüre der Bundesregierung. Dem Plan nach sollen sie diese aber auch nicht unterschreiten.
Ob sich das Konzept bewährt, wird seit 2004 in acht Modellregionen untersucht. Die wissenschaftliche Auswertung der Pilotprojekte ist jetzt abgeschlossen. Die Forscher wollten nicht nur wissen, wer das neue Angebot überhaupt nutzt. Es interessierte sie auch, als wie hilfreich die Empfänger das System empfinden. "Das überaus hohe Maß an Zufriedenheit hat uns überrascht", sagt Heidrun Metzler von der Forschungsstelle "Lebenswelten behinderter Menschen" an der Uni Tübingen. Die Soziologin leitet die Auswertung der Modellprojekte.
Laut Metzler sind die Budgetempfänger im Schnitt 36 Jahre alt. Die größte Gruppe der Nutzer sind psychisch Kranke. An zweiter Stelle folgen geistig Behinderte, an dritter die körperlich Behinderten. "Psychisch Kranke leiden besonders unter den Zumutungen des Versorgungssystems", sagt Metzler. "Das sind meist ja Menschen, die mal eigenverantwortlich gelebt haben." Sie sähen das Budget als Chance, wieder selbst über ihr Leben zu bestimmen, auf Augenhöhe mit den Dienstleistern verhandeln zu können.
Das Konzept ermöglicht den Betroffenen auch, relativ kurzfristig eine Leistung zu ändern. Gerade für psychische Kranke sei dies hilfreich, sagt Metzler: "Sie haben mal vier Wochen, in denen es ihnen gut geht und sie auf Hilfe verzichten können. Dafür können sie in Krisenzeiten besonders viel Unterstützung in Anspruch nehmen."
Doch es gibt auch einen Kritikpunkt am Budget-System: Für die Empfänger ist es sehr aufwändig. Sie müssen sich über mögliche Angebote informieren. Und bei den Leistungsträgern Quittungen einreichen. Denn die Empfänger erhalten das Geld nicht mal eben so. Sie vereinbaren mit dem Leistungsträger, wofür sie das Geld ausgeben, und müssen das dann auch belegen.
Immerhin ist das Problem des hohen Aufwands auch in der Fachwelt erkannt. Es haben sich mehrere Initiativen gegründet, die Antragssteller beraten. "Ein behinderter Mensch ist auf einmal Arbeitgeber. Das muss man erst einmal lernen", sagt etwa Melanie Klein.
"Der hohe Aufwand ist zwar ein Kritikpunkt, den die Budgetempfänger immer wieder nennen. Aber unterm Strich sind sie trotzdem sehr zufrieden mit dem neuen Modell", sagt Metzler. Ihr Fazit: Das neue System ist bei denen, die es nutzen, überaus beliebt. Aber nach wie vor ist es noch kaum verbreitet. Oft wüssten die Betroffenen gar nicht, um was genau es geht. Das immerhin könnte sich durch die Rundtour der Bundesbeauftragten ändern.
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