: Buchpreis für Dorothee Elmiger
Mit „Die Holländerinnen“ wurde der klare Favorit mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet
Von Julia Hubernagel
Man musste ihn ihr eigentlich geben, den Deutschen Buchpreis, denn der Roman von Dorothee Elmiger ist das mit Abstand beste Buch unter den sechs nominierten. Es ist jedoch auch das mit Abstand anspruchsvollste Buch, und so kann man sich vorstellen, dass die Jury womöglich kurz zögerte: Kann man in diesen Zeiten, in denen Komplexität nun nicht gerade Konjunktur hat, in denen simple Wahrheiten dominieren, einen Roman mit dem wichtigsten deutschen Buchpreis auszeichnen, der stellenweise so undurchdringbar ist, wie das Dickicht, in das er auch erzählerisch eintaucht?
Dorothee Elmiger lässt in „Die Holländerinnen“ gleich eingangs ihre Erzählerfigur einräumen: Ihr Schaffen befindet sich in Auflösung. Die namenlose Protagonistin kapituliert vor dem Chaos aus Zeichen, die die moderne Welt in unendlicher Ausführung überlagern – und bis in den südamerikanischen Dschungel hineinragen, in dem der Roman spielt.
Eine Crew aus Kulturschaffenden, eingeladen von einem Theatermacher, der sich erklärtermaßen an Werner Herzog orientiert, spürt dem Schicksal zweier verschwundener Frauen nach, den „Holländerinnen“. Nachspielen soll die eingeflogene Gruppe den Fall gar, denn es ist vor allem die Mimesis, die „Nachahmung“, der die Schweizer Schriftstellerin mit ihrem Buch zu Leibe rückt. Wie Elmiger spielerisch, aber zugleich mit einer Unbedingtheit Kultur- und Philosophiegeschichte bemüht, ein Netz aus immer neuen Verweisen strickt, das ist mit großem Gewinn zu lesen.
Es liest indes jeder anders. Jurymitglied Friedhelm Marx pries das Buch in einem Videostatement und erwähnte etwas überraschend „übliche True-Crime-Formate“, von denen sich „Die Holländerinnen“ abstoßen würde. Die Vorsitzende des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs, lobte den Roman bei der Preisverleihung am Montagabend im Frankfurter Römer als „Ereignis“, in dem Menschen „in ihr dunkelstes Gegenteil fallen“, ohne das genauer auszuführen. Die Preisverleihung stellt den Auftakt zur Frankfurter Buchmesse dar, die noch bis Sonntag läuft.
Elmiger selbst hob im Anschluss die anderen nominierten Autor:innen dankend hervor. Neben ihr standen auf der Shortlist Kaleb Erdmann mit „Die Ausweichschule“, Jehona Kicaj mit „ë“, Fiona Sironic mit „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“, Christine Wunnicke mit „Wachs“ sowie der bereits vier Mal für den Preis nominierte Thomas Melle mit „Haus zur Sonne“, dem man den Preis ebenfalls gegönnt hätte.
Die ausgezeichnete Elmiger stellte in ihrer kurzen Rede erneut die Lust am Intertext aus, zitierte Marie Luise Kaschnitz und schloss mit einem Tocotronic-Zitat: „Das Unglück muss zurückgeschlagen werden.“
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